Bundesrat Stenographisches Protokoll 704. Sitzung / Seite 43

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Meine Damen und Herren! Ich gehe nicht konform mit jenen, die sagen, es sei heute nicht der Tag, um zu reflektieren, was in der EU richtig ist und was wir verbessern könnten, sondern ich meine, dass es auch heute unsere Aufgabe ist, sich diese Fragen zu stellen.

Eines ist klar: Wenn wir ein Haus haben und dieses erweitern wollen, was wir ja heute vorhaben, dann müssen wir auf jeden Fall – zumindest gleichzeitig, wenn wir es nicht schon vorher geschafft haben – dafür sorgen, dass die Säulen auch stabil sind, dass in diesem Haus nichts morsch ist, denn nur dann wird der Zubau auch einen Sinn haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Träume, ein geeintes Europa zu haben, so wie wir es heute beschließen werden, reichen in der Geschichte weit zurück. Die Frau Außenministerin hat hier schon gesagt, dass ab dem Jahr 1989 der Einigungs­prozess massiv fortgeschritten ist, aber ich darf doch reflexartig einige Jahrhunderte weiter zurückgehen und einige Namen sozusagen als Schlaglichter erwähnen, und zwar Namen von Personen, welche die Vision des geeinten Europas schon damals gehabt haben, und dies natürlich in unterschiedlicher Art unter den Rahmenbedin­gungen, die damals gegeben waren.

Ich darf als Ersten Pierre Dubois erwähnen, der in der Zeit der Kreuzzüge eigentlich ein geeintes Europa als das einzige Bollwerk gegen die damals „islamische Fein­deswelt“ – unter Anführungszeichen – gesehen hat, und auch als eine Sicherheit dafür, Jerusalem zurückzuerobern.

Man hat damals auch eigenartige Vorstellungen vom Schlichten von Streitigkeiten gehabt. So war zum Beispiel Dubois der Ansicht, dass der Papst Schiedsrichter sein sollte, wenn die Staaten Europas streiten. Dante Alighieri hingegen, der eine ähnliche Vision gehabt hat, jedoch auf einer anderen Ebene, hat wiederum gemeint, der Kaiser sollte der Schiedsrichter in einem geeinten Europa sein.

Interessant ist für mich auch die Idee von Abbé de St. Pierre , eines Franzosen, der gemeint hat, es soll einen gemeinsamen europäischen Bundesrat geben. Das halte ich als Bundesrätin für eine sehr charmante Vorstellung! Gleichzeitig hätte er diesen ge­samteuropäischen Bundesrat mit sehr hohen Kompetenzen ausgestattet, nämlich mit richterlichen Kompetenzen.

Wichtig finde ich es, aus der Zeit der Französischen Revolution Graf de Saint-Simon zu erwähnen, der eine sehr moderne Idee gehabt hat, die wir heute eigentlich zum Leben erwecken sollten. Er hat gemeint, dass in einem Europa ohne eine gemeinsame Verfassung auch weiterhin alles mit Gewalt entschieden werde. Das heißt: Er hat ein friedliches Miteinander an das Vorhandensein einer gemeinsamen Verfassung ge­knüpft. Das ist, wie ich meine, eine durchaus interessante und höchst aktuelle Idee, die aufgegriffen werden sollte.

Ich will die anderen Vertreter, die auch sehr interessante Theorien zu diesem Thema gehabt haben, aus zeitökonomischen Gründen nicht nennen. Nur noch erwähnen möchte ich Coudenhove-Kalergi, der für Paneuropa eingetreten ist, der aber gewisse Staaten von einem Einigungsprozess ausschließen wollte, wie zum Beispiel Russland und auch Großbritannien.

Interessant ist auch die Tatsache, dass dann viele Politiker auf diesen Einigungszug aufgesprungen sind, wie zum Beispiel Churchill, der aus anderen Intentionen, und zwar, um sein eigenes Land zu stärken, vor allem aber, um wieder Frankreich und Deutschland auszusöhnen, für Vereinigte Europäische Staaten, und zwar mit Aus­nahme Großbritanniens, plädierte.

Diese Visionen und Pläne haben dann in den fünfziger Jahren in bekannter Art und Weise bei den ersten Sechser-Gemeinschaften zu den Verbindungen EWG,


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