Bundesrat Stenographisches Protokoll 704. Sitzung / Seite 48

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Österreich rückt nämlich in die Mitte Europas. Wir waren oft Randlage: zum Beispiel im Römischen Reich als Pannonium und Noricum oder als Ostmark während der Zeit Karls des Großen oder der Zeit Ottos des Großen oder, um gleich einen großen Sprung zu machen, 1945, als wir zum demokratischen Erker Europas geworden sind. Dass wir aus dieser Randlage herauskommen, ins Zentrum rücken, ist wichtig. Als Stra­tege würde ich sagen: Die innere Linie ist immer günstiger als die äußere.

Dankbarkeit aber sollte uns alle ergreifen, da wir diese historischen Momente erleben dürfen. Der Dank gilt auch den politischen Entscheidungsträgern, dem Herrn Bun­deskanzler, der Frau Außenministerin, dem Herrn Staatssekretär, die in langen, schwie­rigen Verhandlungen das erreicht haben, über das wir heute abstimmen dürfen. (Beifall bei der ÖVP.)

In aller Kürze auch ein bisschen Nachdenklichkeit, aber keine pessimistische: nach­denklich in der Richtung, dass die 25 unbedingt eine europäische Verfassung brau­chen. Sie ist notwendig und nützlich, um die Interessen gegeneinander abzuwägen. Es ist aber falsch, auf den Umstand, dass die Regierungskonferenz letzte Woche, aus welchen Gründen auch immer, nicht zu einem Ende geführt werden konnte, mit Aufge­regtheit zu reagieren. Bleiben wir gelassen! Vertrauen wir auf unsere politischen Ent­scheidungsträger, darauf, dass sie im nächsten Jahr eine ordentliche Lösung zustande bringen, denn in der Krise bewährt man sich, und nicht, wenn Schönwetter herrscht.

Es ist aber auch ein Tag der Sehnsucht, und zwar deswegen, weil der Friede immer Gegenstand der Sehnsucht der Menschheit war. Wir als Politiker haben uns oft zu fragen, was unser Beitrag dazu sein kann. Das europäische Friedensmodell, das im letzten halben Jahrhundert entwickelt worden ist, hat sicher Beispielswirkung für die Welt. Wir sollten versuchen, das, ohne lehrmeisterlich zu sein, auch in andere Teile der Erde zu tragen.

Die Erweiterung der EU ist ein weiterer Schritt dazu, die Sehnsucht des Menschen nach Frieden zu erfüllen. Meine Fraktion und ich heißen daher alle zehn Länder mit Freude willkommen. – Ich danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

11.28

 


Präsident Hans Ager: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Bundesrat Todt. Ich erteile ihm dieses.

 


11.28

Bundesrat Reinhard Todt (SPÖ, Wien): Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Frau Außenministerin! Sehr verehrter Herr Staatssekretär! Die EU-Erweiterung ist eines der wichtigsten Projekte dieses Jahrhunderts. Ich freue mich, dass es gelungen ist, zehn neue Mitgliedstaaten in die EU aufzunehmen. Es gilt, die europäische Ge­schichte zu überwinden, die Gräben der Vergangenheit zu schließen. Das Gelingen dieses Vorhabens erfordert jedenfalls politischen Mut und Unterstützung durch die Be­völkerung, und diese wird man erhalten, wenn die Menschen mit ihren Sorgen nicht allein gelassen werden.

Ein Schwerpunkt ist die Notwendigkeit, dass die Europäische Union eine Verfassung erhält, mit der sich die Bürgerinnen und Bürger identifizieren können. Die Europäische Verfassung ist nicht nur auf die Stimmrechte einzelner Länder zu reduzieren oder auf die Frage, ob jedes Land einen Kommissar stellen soll, oder die Frage, ob jetzt gespart werden muss und ob die Nettozahler nicht mehr bezahlen, sondern Europa hat mehr verdient: Es muss sich in seiner Vielfalt entwickeln können.

Besonders wichtig ist mir dabei die Daseinsvorsorge. Diese Leistungen sind ein essentieller Bestandteil des ökonomischen und sozialen Aufbaus Europas. In diesem


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