Bundesrat Stenographisches Protokoll 706. Sitzung / Seite 10

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Wir haben in unserem Land – mit anderen Ländern – in den vergangenen Jahrzehnten sehr um diese Spielräume gerungen, für Länder und Gemeinden; nicht aus Ideologie oder um damit einen Selbstzweck zu verfolgen, sondern aus vieljähriger Erfahrung, die uns beweist, dass richtig verstandener Föderalismus im Sinne von Spielraum zur Gestaltung mehr Leistungsfähigkeit, auch mehr Bürgerverantwortung, mehr Innovation, schlanke staatliche Strukturen und die Chance zum praktischen Überwinden von Grenzen bedeutet.

Für die Zukunft kommt dazu – diese Seite von Spielraum der Regionen wird an Bedeu­tung gewinnen –, dass es Dienstleistungen gibt, die für Menschen wichtig sind, die dar­auf angewiesen sind, dass neben dem professionellen Dienst und Familienleistungen auch ehrenamtliche Leistungen in einem Netzwerk entwickelt werden. Dieses Netz­werk kann nur im Nahraum organisiert werden; die Zentralen haben diese Chance nicht.

Was wir also für die regionale Gestaltung in vielen Bereichen brauchen, ist Spielraum – natürlich im Rahmen – und nicht noch mehr Reglementierung, Vereinheitlichung. Die Vereinheitlichung erleben wir häufig nicht als vernünftigen Rahmen, sondern als büro­kratische Einschränkung.

Professor Kramer hat in den vergangenen Tagen eine Studie über die ökonomischen Aspekte der Bundesstaatsreform im Auftrag unseres Instituts für Föderalismus der Öffentlichkeit vorgestellt und dabei einige sehr interessante Feststellungen getroffen:

Zunächst, dass ein Qualitätswettbewerb zwischen den Bundesländern Sinn macht. Dieser ist nur möglich, wenn Spielraum vorhanden ist.

Weiters – was auch in der Diskussion im Konvent etwas zu wenig berücksichtigt wird –, dass die Konzeption der Trennung von Kompetenzen auf Grund der stärkeren Mobilität in einer modernen Welt weniger als im 19. Jahrhundert funktioniert.

Professor Kramer kommt zu dem Schluss: Es ist eine Ausnahme, wenn eine Kompe­tenz für einen größeren Aufgabenbereich einer bestimmten staatlichen Ebene gänzlich und effizient zugeordnet werden kann. Vielmehr ergibt sich aus der intensiven Wirt­schaftsverflechtung, der höheren Mobilität und den grenzüberschreitenden Umweltphä­nomenen eine mehrstufige Verantwortung. Prinzipien und grundsätzliche Strategien sollten auf der obersten, also der europäischen Ebene angesiedelt sein. Die Ausfor­mung und Präzisierung soll auf der nationalen beziehungsweise regionalen Ebene erfolgen, ihre Umsetzung auf der regionalen beziehungsweise lokalen Ebene.

Dann stellt er fest: Der Ebene der Länder kommt in erster Linie die Initiative und Ver­antwortung für die Gestaltung und die Regelung der täglichen Lebensbedingungen und der kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung sowie für die Raumordnung und Ansied­lung der Wirtschaft – Standortpolitik – und in der Vollziehung zu.

Für die Ebene der Gemeinden empfiehlt sich der Ausbau der kommunalen Zusammen­arbeit über Gemeindeverbände.

Weiters: In absehbarer Zukunft werden die Anforderungen an das System der Pflege älterer Menschen rapid ansteigen. Diese Aufgabe wird nicht allein von staatlichen Ein­richtungen bewältigt werden können, sondern erfordert eine gezielte Mobilisierung der menschlichen Kapazitäten der Zivilgesellschaft. Die Verantwortung und Initiative dafür ist am besten auf den Ebenen der Länder und Gemeinden angesiedelt.

Angesichts des Bedeutungsverlusts nationaler Grenzen rücken die Regionen auch ökonomisch immer mehr in das Blickfeld der Interessen. Dies gilt umso mehr, wenn man die schleichende Entfremdung von Bevölkerung und Politik durch Zentralisie­rung – und Europäisierung – als bedenklich ansieht. Aus wirtschaftlicher Sicht ist zu


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