Bundesrat Stenographisches Protokoll 706. Sitzung / Seite 164

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Wir haben gehofft, dass das ursprünglich unter Minister Michalek vorgestellte Konzept umgesetzt wird, ein Konzept, in welchem der Staatsanwaltschaft eine stärkere Rolle zugedacht wurde oder wird. Die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sollten jene sein, die über die Exekutive und mit der Exekutive die Erhebungen durchführen.

Im Positionspapier der Vereinigung österreichischer Staatsanwälte vom Dezem­ber 2003 steht, dass sich die Staatsanwaltschaft funktionell von einer selektierenden und Antrag stellenden Behörde im Rahmen der Diversion zu einer sanktionierenden und in naher Zukunft koordinierenden und die Exekutive kontrollierenden Behörde ent­wickelt hat. So werden bereits jetzt von der Staatsanwaltschaft weitaus mehr endgül­tige Entscheidungen in Strafsachen als von den Gerichten getroffen. Bereits im ersten Jahr der Anwendung der Diversion wurden nur zirka ein Viertel der Fälle angeklagt, und nur zirka jeder fünfte Straffall wurde vom Gericht entschieden!

Nach weiteren Angaben der Vereinigung österreichischer Staatsanwälte werden ebenso viele Fälle bei Bejahung der Strafbarkeit von den Staatsanwältinnen und den Staatsanwälten diversionell behandelt und erledigt. Das ist ein geändertes Rechtsver­hältnis, und diesem muss Rechnung getragen werden.

Es war die SPÖ, die bereits im Jahr 2000 einen Antrag auf Verfassungsänderung ge­stellt hat, in welchem verlangt wurde, dass die für die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft notwendige Kontrolle und Weisungshierarchie eine rechtliche und keine politische sein sollte.

Unsere Fraktion hat daher im Einklang mit der Vereinigung österreichischer Staatsan­wälte den Wechsel der Weisungsspitze vom Regierungsmitglied Justizminister zum ausgewiesenen und unabhängigen Justizorgan, einem Generalprokurator oder einem Bundesstaatsanwalt, vorgesehen. Dies hätte geschehen sollen, denn eine derartige, als Justizorgan ausgewiesene Weisungsspitze wäre dem Parlament gegenüber ver­antwortlich gewesen. Sie wäre auch über jeden Zweifel unsachlich motivierten Han­delns erhaben.

Ich zitiere abermals aus dem Positionspapier der Vereinigung österreichischer Staats­anwälte: Gerechtigkeit zu üben ist in der neuen Rolle der Staatsanwälte kein Problem. Die Darstellung des gesetzestreuen Handelns hingegen wird es immer mehr. – Zitat­ende.

Durch das Beharren auf ein erkennbar politisches Weisungsrecht der Staatsanwalt­schaft gegenüber wird ein ganzer Berufsstand diskreditiert. Der Staatsanwaltschaft wird die Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung entzogen.

Das nächste große Problem dieser Reform ist auch von den Regierungsparteien haus­gemacht: Nach Meinung der Standesvertreter werden zu wenige Staatsanwälte bereit­gestellt, um diese Reform wirklich durchsetzen zu können. Sie haben uns ja eine Zahl genannt: es sind 55. Ich habe aus anderen Quellen gehört, dass die Vereinigung der Staatsanwälte ungefähr 220 Planstellen verlangt hat und anstrebt. Es wäre bei den divergierenden Angaben bezüglich dieser benötigten Personalressourcen erstrebens­wert, die konkrete Zahl der erforderlichen Planstellen zu erfahren.

Bislang war die Zusammenarbeit zwischen Justiz und Exekutive zufrieden stellend, aber die gravierende Änderung des Entwurfes, anstelle eines unabhängigen Unter­suchungsrichters oder einer unabhängigen Untersuchungsrichterin einen weisungs­gebundenen Staatsanwalt oder eine Staatsanwältin treten zu lassen und ihm oder ihr für den gesamten Zeitraum des Vorverfahrens die rechtliche Gesamtverantwortung zu geben, bringt eine Brisanz mit sich, weil es die notwendige Zahl der Staatsanwälte ins­gesamt einfach nicht gibt. Auch werden die ohnehin personell ausgedünnten Exekutiv-


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