Bundesrat Stenographisches Protokoll 710. Sitzung / Seite 115

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Wir haben eine zweite Grundtatsache zu berücksichtigen, nämlich: Dieser Konsens in Österreich ist kein Konsens in Europa, nicht zwischen den Regierungen, aber auch nicht zwischen den Völkern, auch wenn es summa summarum zumindest eine große Gruppe der Bevölkerung der Europäischen Union gibt – über Mehrheiten will ich nicht spekulieren –, die dieser in Österreich vorherrschenden Auffassung sind.

In dieser besonderen Situation, in der letztlich ein Staat der Union mit einer breiten Unterstützung der Bevölkerung eine bestimmte Politik zu betreiben versucht, ist Ko­operation, Überzeugungsarbeit, Nutzung rechtlicher Möglichkeiten und viel Fingerspit­zengefühl angebracht. Das ist uns durchaus bewusst!

Ich möchte daher ausdrücklich sagen, dass weder in der Debatte dieser Dringlichen Anfrage noch in irgendeinem anderen Forum diese Debatte in die Richtung entgleisen soll, dass es nun einmal mehr zu einer Frontstellung gegen die Tschechische Republik kommt und dass in einfachster – um nicht zu sagen: in primitivster – Art und Weise Attacken geritten werden. Die Konfrontation zwischen diesen beiden Ländern und zwi­schen jeder anderen möglichen Gruppierung bringt mit Sicherheit nicht das von uns gewünschte Ziel.

Diese Notwendigkeit und diese Bereitschaft, mit Fingerspitzengefühl und auch mit Ver­ständnis für die andere Seite vorzugehen, können jedoch nicht bedeuten, dass wir im Grundsatz von unserer Meinung abweichen. Ich darf in Klammern dazusetzen, dass ich sehr, sehr glücklich war – und ich nehme an, das kann ich für meine ganze Fraktion sagen –, als an einem bestimmten Punkt in der Auseinandersetzung um Temelín die sehr demonstrativen, sehr überzogenen und des Fingerspitzengefühls absolut entbeh­renden Aktionen an der tschechischen Grenze vernünftigerweise eingestellt worden sind. Aber es ist klar – und Sie verzeihen mir diese kleine Abzweigung –, dass wir es selbstverständlich nicht hinnehmen können, wenn ein anderes Mitgliedsland der Euro­päischen Union, und sei es auch nur beim lauten Nachdenken eines Ministers, über­nommene Verpflichtungen aus dem Beitrittsvertrag – ich meine die Slowakei – in Frage stellt. Da haben wir einen Rechtsstandpunkt erreicht, an dem wir um jeden Preis und mit aller Entschiedenheit festzuhalten haben. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der Grünen.)

In dieser verhältnismäßig günstigen Situation sind wir gegenüber der Tschechischen Republik nicht. Nicht nur wir, sondern viele haben seinerzeit davor gewarnt, das „Mel­ker Abkommen“, das uns in Wirklichkeit der Mitbestimmung beraubte und auf die Rolle eines Informierten zurückschraubte, als Lösung zu akzeptieren. Auch der konkrete Störfall und auch die konkrete Informationspolitik der tschechischen Seite haben ge­zeigt, dass dieses Abkommen vage und für die österreichische Seite eindeutig nicht ausreichend ist. Ich gebe zu, dass das eine im Wesentlichen historisierende Feststel­lung ist, denn dieses Abkommen ist unterzeichnet, aber es ist unter der Kritik großer Teile der fachlichen und politischen Öffentlichkeit Österreichs unterzeichnet worden.

Ich bin nicht der Auffassung, dass für einen Störfall dieser Größenordnung, der immer­hin zum Austritt von hoch radioaktivem Wasser aus dem Primärkreislauf führte und nach den bisher vorliegenden Berichten zwei Räume des AKW Temelín kontaminierte, wirklich eine 72-stündige Frist bis zu einer Information von tschechischer Seite aus­reicht. Was die „Melker Vereinbarung“ anlangt, hat die tschechische Seite korrekt ge­handelt – überkorrekt, kann man ruhig sagen; 25 Stunden waren es meines Wissens; stimmt das, Herr Minister, wenn ich Sie außer der Reihe fragen darf? (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Ich werde es dann beantworten! Zirka 24 Stunden!) okay, gut –, also es wurde die vertragliche Vorgabe weit unterschritten. Das ist auch ein Beweis dafür, wie großzügig – nicht für Österreich! – die Bestimmungen dieser Vereinbarung festge­legt sind.

 


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