Bundesrat Stenographisches Protokoll 712. Sitzung / Seite 33

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10.12

Bundesrat Johann Giefing (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Sehr geehrter Herr Botschafter Dr. Steiner! Die Arbeit, welche die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Fonds beziehungsweise der beiden Fonds geleistet haben, verdient heute mehr als gewürdigt und anerkannt zu werden. Die sprichwörtliche Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen trifft, wie ich meine, heute sehr gut auf dieses Thema zu.

Der Gesetzentwurf des Nationalrates ist jedoch aus meiner Sicht eine relativ kleine Novelle. Im Wesentlichen geht es heute darum, die Frist für die Einbringung von Anträgen auf Leistung aus dem Fonds zu verlängern. Die Funktionsdauer des Ver­söhnungsfonds soll also bis zum Ende des Jahres 2005 verlängert werden, damit alles ordnungsgemäß abgeschlossen werden kann – eine richtige Entscheidung jenen gegenüber, die jahrelang in Konzentrationslagern waren und Sklavenarbeit geleistet haben.

Damit man die Dimension der Entschädigung sieht, sollten wir uns jedoch bewusst machen, dass nun insgesamt 1 Milliarde Dollar rückerstattet wird. Dem steht allerdings gegenüber, dass beim größten Raubzug der Geschichte durch die Nazis Güter im Wert von 2 000 Milliarden Schilling geraubt wurden. Die moralische und ethnische Dimen­sion des Mordes an 6 Millionen Juden ist gesetzlich und auch mit materieller Ent­schädigung sowieso niemals gutzumachen, weil sich in Wahrheit die Einzigartigkeit dieses Verbrechens jeglicher Kategorie des Denkens entzieht.

Wir Österreicher haben allerdings 60 Jahre lang gebraucht, um die Frage der Reparation zu beantworten. Die Pflicht der Wiedergutmachung wurde 60 Jahre lang definitiv abgelehnt. Vor vier Jahren wurde das Versöhnungsfonds-Gesetz hier im Parla­ment und vor allem von allen vier Fraktionen beschlossen und damit ein klarer Beweis für die Verantwortung unseres Landes gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus abgelegt.

Es darf in diesem Zusammenhang jedoch nicht nur an die materielle Seite gedacht werden: Die geistige Auseinandersetzung mit den dunkelsten Flecken unserer Ge­schichte darf nicht abreißen. Bedauerlicher Vorfälle in Deutschland, in Frankreich und in anderen Teilen Europas in letzter Zeit zeigen, dass es einfach eine Kontinuität rassistischen und nationalsozialistischen Denkens gibt, wo wir mit Bedauern feststellen müssen, dass dieser unser europäische Kontinent die geistige Restitution noch lange nicht bewältigt hat und dass viele unbewältigte Denk- und Verhaltensmuster auch in Österreich fortwirken. Es gibt also noch viel zu tun – unabhängig von dem Positiven, das bereits geleistet wurde, unabhängig davon, dass in der Vergangenheit viel geschehen ist. Ich denke da zum Beispiel an den Gedenktag für Rassismus, wo ein Anlass gegeben ist, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und die ent­sprechenden Konsequenzen zu ziehen, um damit endlich das Gedankengut der Frem­denfeindlichkeit ablegen zu können.

Es gehört aber heute auch die Frage angesprochen, was mit dem Geld geschieht, das dem Fonds übrig bleibt. Ich meine, dass dieses Geld nicht ins Budget zurückfließen soll, sondern weiterhin als Beitrag eingesetzt werden soll, dieses dunkle Kapitel Österreichs aufzuarbeiten und weiter zu beleuchten.

Meine Fraktion wird diesem Gesetzesbeschluss in der Hoffnung auf ein Europa mit all seiner Vielfalt an Kulturen, an Nationalitäten und ein Europa in Freiheit und Frieden ihre Zustimmung erteilen. (Beifall bei der SPÖ, den Grünen sowie bei Bundesräten der ÖVP.)

10.16

 


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