Bundesrat Stenographisches Protokoll 714. Sitzung / Seite 48

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wir diese dramatisch anwachsenden Zahlen besser verwahren und bewältigen? – Aber in Wirklichkeit geht es darum, sich zum Strafvollzug heute anderes zu überlegen, sich zum Beispiel zu überlegen: Wie können wir im Bereich der vorzeitigen Entlassung langsam europäisches Niveau erreichen? – In Deutschland werden immerhin 50 Pro­zent der Häftlinge vorzeitig entlassen, in der Schweiz – ganz „schrecklich“!, ich weiß, die FPÖ hat ja die Schweiz immer als das „Kolumbien Europas“ bezeichnet – werden 92 Prozent der Häftlinge vorzeitig entlassen, in Österreich dagegen nur 20 Prozent! – Das ist Wiedereingliederungshilfe, Herr Kollege! Das ist nicht „Verwahrung“, sondern das ist ein aktiver Beitrag, um Menschen nicht zu lange von der Gesellschaft weg­zusperren, sondern ihnen eine Reintegration in eine Gesellschaft zu ermöglichen. Das macht ja Sinn, und deshalb gibt es auch dieses Instrument.

Dass die österreichische Bundesregierung beziehungsweise die Praxis Österreichs dermaßen abweicht von der Praxis, wie sie zum Beispiel in der Schweiz geübt wird – von dieser weicht sie sogar extrem ab –, oder auch von der Praxis in Deutschland, das kann ja nicht logisch sein, meine Damen und Herren! Hier erwarte ich mir eine Diskussion, um diesbezüglich zu einer anderen Praxis im Strafvollzug zu kommen.

Sie haben natürlich ein bitteres Erbe angetreten, Frau Bundesministerin, nämlich das Erbe Ihres Vorgängers. Das größte Gefängnis in Wien, jenes in der Josefstadt, ist überfüllt: 135 Prozent! – Aber das ist doch klar, wenn man den Jugendgerichtshof – eine Einrichtung, um die man uns weltweit beneidet hat – schließt und jetzt all die Jugendlichen in die Josefstadt überführen muss und dort hineinstopft und dies – es gibt auch andere Gründe – mit ein Faktor ist, dass die „Josefstadt“ ein Gefängnis ist, in der man nur mehr von „Aufbewahrung“ reden kann! Es werden dort die Jugendlichen in eine Situation gebracht, in der sie nur mehr „aufbewahrt“ werden, ohne dass man ihnen die Möglichkeit gibt, zum Beispiel einen Beruf fertig zu erlernen und einer sinn­vollen Beschäftigung nachzugehen. Im Grunde werden die Inhaftierten oder die Insas­sen in Gefängnissen behandelt wie Kinder vor dem Eintritt in den Kindergarten: wecken, herumsitzen, aufs Essen warten, zweimal zum Duschen eingeteilt werden, vielleicht einmal irgendwo im Kreis gehen und dann wieder zum Schlafen geschickt werden. – Wir müssen uns doch bitte – vor allem bei dermaßen explodierenden Zahlen – hier um eine sinnvolle Integration, um eine sinnvolle Ausbildung kümmern!

Weiters – wir haben ja heute noch viel Zeit zum Diskutieren –: Kollege Wiesenegg, glaube ich, hat schon die Verfahrenslänge angeschnitten, vor allem im zivilrechtlichen Bereich. Die Bürger und Bürgerinnen haben ein Recht auf Entscheidungen! Sie haben damals gesagt, Sie brauchen mehr Personal im Gefängnis, Sie brauchen mehr Per­sonal in der Justiz. (Bundesrat Konecny: Dieser Meinung sind wir auch!) Wo haben Sie sich diesbezüglich im Budget gegenüber Finanzminister Grasser durch­gesetzt? Wo haben Sie sich durchgesetzt gegenüber dem Herrn Bundeskanzler, der das ja letztlich zu verantworten hat?

Die Bürger haben ein Recht auf rasche Entscheidungen, denn diese extremen Verfah­renslängen, vor allem im zivilrechtlichen Bereich, kosten Geld und schaffen Ver­unsicherung – und sie verunsichern darüber hinaus in den Beziehungen der Menschen zueinander. Und die Aufgabe der Justiz soll es doch auch sein, Verhältnisse der Menschen zueinander zu klären!

Ein letzter Punkt – auch zu Ihrer Erklärung, weil Sie diesen Punkt ja selbst auch an­gesprochen haben – ist der Opferschutz beziehungsweise das Verbrechensopfer­gesetz. Hier sagt die Volksanwaltschaft ganz klar und eindeutig: Das ist eine Ungleich­behandlung! Wer heute in Österreich Opfer eines Verbrechens geworden ist, ist beim Verbrechensopfergesetz darauf angewiesen, welchen Pass er hat. Hat er einen österreichischen Pass, ist er aus dem Schneider. Hat er einen Schweizer Pass, einen deutschen Pass oder einen polnischen Pass, ist er ebenfalls aus dem Schneider. Aber


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