Bundesrat Stenographisches Protokoll 714. Sitzung / Seite 121

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sind alt genug, um das wissen zu müssen, und Sie, Herr Kollege, sind so jung, dass Sie es lernen sollten. (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Es ist selbst im Vorfeld sinnvoll, sich nicht auf irgendwelche freundlichen Privatgut­achten zu verlassen, sondern sehr selbstkritisch darüber nachzudenken, ob beabsich­tigte Maßnahmen verfassungsrechtlich – wie sagt man da? – halten werden. Das gilt selbst für das Projekt der Zusammenlegung von Polizei und Gendarmerie, denn es gibt Bedenken. Wenn der Herr Innenminister der Meinung ist, dass diese Bedenken nicht berechtigt sind, und das gut begründen kann – wir fragen ihn danach –, dann ist dies das Risiko, das man eingeht und manchmal eingehen will und muss. Aber wenn er nur glaubt, es wird ihm nicht auf die Finger geklopft werden, weil nach erfolgter Zusam­menlegung das Wiederauseinanderdividieren faktisch so gut wie unmöglich ist, dann ist das ein Rechtsverständnis, das wir nicht akzeptieren können. Meine Damen und Herren, die normative Kraft des Faktischen hat im Rechtsstaat nichts verloren! (Bun­desrat Dr. Kühnel: Das stimmt nicht! Das ist im Völkerrecht eine anerkannte ...!)

Entschuldigen Sie, wir reden vom österreichischen Verfassungsrecht, Herr Kollege! (Zwischenruf des Bundesrates Winter.) Da schüttelt sogar Professor Böhm den Kopf, dem ich eine höhere juridische Kompetenz in den meisten Fragen zubillige. Die Beziehungen innerhalb der österreichischen Republik werden durch die Bundesver­fassung und nicht durch das Völkerrecht geregelt. Glauben Sie mir das, auch wenn Ihr Vertrauen zu meinen Aussagen vielleicht ein begrenztes ist. (Bundesrat Bader: Nein, ich glaube Ihnen nicht!) Schlagen Sie nach: Die Bundesverfassung wird im inner­staatlichen Bereich durch das Völkerrecht nicht derogiert, das Völkerrecht ... (Bundes­rat Bader: Sie haben vom Rechtsstaat gesprochen!) – Ja, selbstverständlich! (Bundes­rat Bader: Sie haben vorhin vom Rechtsstaat gesprochen!)

Ja, und der Rechtsstaat beruht darauf, dass Verordnungen auf ihre Gesetzmäßigkeit hin vom Verwaltungsgerichtshof und Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin vom Verfassungsgerichtshof überprüft werden. (Bundesrat Bader: Das wissen wir auch!) Jetzt spreche ich über den Verfassungsgerichtshof und die Verfassungsmäßigkeit vorgeschlagener gesetzlicher Maßnahmen. Das ist ein zentrales Element des Rechtsstaates – wenn ich Ihnen beim Bauen der Brücke zwischen den beiden Begriffen ein wenig helfen darf. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Ich habe zuletzt gesagt: Die normative Kraft des Faktischen ist kein verfassungs­rechtlicher Grundsatz! Zu sagen, ich lege auf Verdacht Polizei und Gendarmerie zusammen, und wenn der Verfassungsgerichtshof, der für eine solche Beurteilung seine Zeit braucht und aus guten Gründen keine Schnellschüsse macht, eine Ent­scheidung trifft, dann ist es aber schon passiert und dann soll mir irgendjemand sagen, wie ich das rückgängig machen kann, dann ist das so wie mit dem roten Gspritzten: Mischen kann ich ihn. – Herr Landwirtschaftsminister, ich weiß, jetzt habe ich beim roten Gspritzten in Ihr Ressort eingegriffen. (Heiterkeit. – Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Schreibe ich schon auf!) – Ja, ich habe es gesehen.

Ich kann leider weder das Mineralwasser noch den Rotwein aus dem Glas wieder herausbringen. Vielleicht kann man es mit Destillieren probieren, aber das ist keine wirklich zielführende Methode, vor allem, was den Geschmack des Rotweins anlangt. – Sehen Sie, das ist verantwortungslos, schlicht und einfach verantwortungslos gegen­über dem Rechtsstaat!

Meine Damen und Herren! Ich komme zum Ausgangspunkt zurück. (Bundesrat Dr. Kühnel: Ich habe geglaubt, zum Schluss!) – Herr Kollege, Sie kennen den Rat­schlag Kurt Tucholskys an einen schlechten Redner, an den sich die meisten Redner auch objektiv halten; er heißt: Wenn du zum Schluss deiner Rede kommst, kündige das rechtzeitig an, die Leute könnten sonst vor Freude einen Herzinfarkt bekommen. –


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