Bundesrat Stenographisches Protokoll 721. Sitzung / Seite 9

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fassungskonvents, insbesondere auch unserem freiheitlichen Abgeordneten Dr. Rein­hard Bösch, aufrichtig danke und ihnen meine Anerkennung ausspreche.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit erwähne ich als Verbesserung unter anderem vor allem die Aufnahme der Grundrechte-Charta in den Verfassungsrang und die Stärkung des Europaparlaments. Schon dessen Aufwertung im Sinne einer Demokratisierung der Europäischen Union ist freilich so lange immer noch ambivalent zu beurteilen, als nicht zugleich die effektiven Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente ausreichend verankert sind. Ein Schritt auch in diese Richtung ist gewiss erfolgt.

Ganz allgemein und insofern weit darüber hinaus hätten wir Freiheitlichen uns viel mehr die Belebung des Subsidiaritätsprinzips, also eine so genannte Flexibilitäts­klausel, erwartet, die eher eine Kompetenzerweiterung der Europäischen Union in substantiellen Politikfeldern auf kaltem Wege ermöglicht, denn wir Freiheitlichen wollen das gerade auch von uns beklagte Demokratiedefizit der Europäischen Union nicht durch einen weiteren entscheidenden Schritt in Richtung hin zu einem Bundesstaat im Sinne eines Zentralstaates der Vereinigten Staaten von Europa anstatt eines Staaten­bundes behoben wissen. Wir bestehen vielmehr auf einem Europa der Vaterländer (Beifall der Bundesräte Mag. Gudenus und Ing. Kampl sowie bei Bundesräten der ÖVP) im Sinne des großen Staatsmannes De Gaulle und darauf, dass die Mitglied­staaten, also die Nationalstaaten, Herren der Verträge in einem Staatenverbund besonderer Art verbleiben, wie das vom deutschen Bundesverfassungsgericht in seinem bekannten Maastricht-Erkenntnis so treffend formuliert worden ist.

Das weit reichende Übergehen vom Einstimmigkeits- zum Mehrstimmigkeitsprinzip mag zwar die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union erhöhen – gewiss wichtig im Spiel der Großen –, es schwächt aber die Position und den Einfluss der Kleinstaaten wie Österreich. Und eben das, mit Herr der Verträge zu sein und zu bleiben, ist daher mit dem vorliegenden Verfassungsvertrag völlig in Frage gestellt.

Es ist schon richtig, wenn sowohl der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes als auch Professor Griller, den ich sehr schätze, betonen, dass dem Gemeinschaftsrecht bereits heute Anwendungsvorrang vor dem innerstaatlichen Recht zukommt, wenn auch bisher nur auf Grund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, und dass dieser Anwendungsvorrang nach eben dieser Rechtsprechung grundsätzlich selbst vor dem nationalen Verfassungsrecht nicht unbedingt Halt macht.

All dem haben wir uns zweifellos mit dem Beitritt zur Europäischen Union unter­worfen – ob es uns allen damals bekannt war oder nicht.

Insofern der Europäische Gerichtshof diesen Vorrang des Europarechts aber unein­geschränkt und vorbehaltlos beansprucht, hat er meines Erachtens seine Kompetenz als Gericht, das heißt als Recht sprechendes und nicht Recht setzendes Organ, ein­deutig überschritten. Denn darin läge eine ihm so weit gehend keineswegs zustehende Rechtsfortbildung, auf die sich die Mitgliedstaaten nicht im Mindesten politisch ver­ständigt haben.

Deshalb ist es herrschende österreichische Verfassungsdogmatik, dass der Beitritt zur Europäischen Union, der in Hinblick auf die damit verbundene Gesamtänderung der damaligen österreichischen Bundesverfassung offenkundig einer Volksabstimmung bedurfte, keineswegs alle weiteren Quantitätssprünge und Qualitätsveränderungen der Europäischen Union und damit sogleich des vom Gemeinschaftsrecht überlagerten österreichischen Bundesverfassungsrechts vorweg ein für alle Mal abdeckt. Vielmehr vertritt die herrschende Lehre des Verfassungs- und des Europarechts die Auffassung, dass es bisher unverändert einen integrationsfesten Wesenskern unserer Verfassung gab, der im Falle eines weiteren grundlegenden Eingriffs in ihn durch eine ent­sprechende Revision des EU-Rechts ohne neuerliche Volksabstimmung für uns


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