Bundesrat Stenographisches Protokoll 721. Sitzung / Seite 10

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unabdingbar war. Dazu zählen insbesondere die Grundprinzipien unserer Verfassung, soweit sie nicht bereits durch den EU-Beitritt selbst modifiziert worden sind.

Genau in diesen verbliebenen Wesenskern greift jedoch nach meiner festen Über­zeugung der vorliegende EU-Verfassungsvertrag erneut intensiv ein, denn die EU-Verfas­sung beansprucht künftig sogar explizit den Vorrang vor jeglichem nationalen Recht, also auch dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten. Der Europäische Ge­richts­hof als Hüter dieser Verfassung hat dann stets das letzte Wort, auch gegenüber den Höchstgerichten, das heißt auch gegenüber den Verfassungsgerichten der Mitgliedstaaten – eine Prärogative, die das Deutsche Bundesverfassungsgericht bis heute nicht akzeptiert hat.

In all dem erkenne ich ebenso wie die renommierten Verfassungsgelehrten Professor Theo Öhlinger, Professor Heinz Mayer, Professor Bernhard Raschauer, Professor Stefan Weber, Innsbruck, Professor Geistlinger, Salzburg, und andere – alle sicherlich nicht der FPÖ zugehörig oder ihr auch nur nahe stehend – eine eindeutige Gesamt­änderung unserer Bundesverfassung, und zwar eben auch in ihrer durch den EU-Beitritt bereits modifizierten Gestalt.

Aus dieser verfassungstheoretischen Einsicht folgt für mich als Jurist – also nicht bloß als Mandatar, der sich die Befassung des Volkes, sei es europaweit, sei es nur in Österreich, aus demokratiepolitischen Gründen wünscht, nein, als Rechtslehrer, der das im Hörsaal vorträgt und der das daher in intellektueller Redlichkeit und politischer Moral auch hier im Hohen Hause vertreten muss –, dass es demnach einer Volksabstimmung bedarf. Eine solche ist bekanntlich im Falle einer Gesamtänderung der Bundesverfassung gemäß Artikel 44 Abs. 3 B-VG verpflichtend.

Freilich trifft in der gegenwärtigen Situation der Einwand zu, dass nur ein echter Gesetzesbeschluss des Nationalrates und nicht auch ein Beschluss des Nationalrates oder, wie heute, des Bundesrates über die Ratifikation eines Staatsvertrages einer Volksabstimmung unterzogen werden kann. Eben darum darf ich aber daran erinnern, dass ich selbst dem Ermächtigungsverfassungsgesetz zum Abschluss dieses EU-Ver­fassungsvertrages zwar bewusst zugestimmt habe, in Anerkennung seiner inhaltlichen Fortschritte, aber eben unter dem Vorbehalt, dass dieses Gesetz meines Erachtens im Anschluss daran einer obligatorischen Volksabstimmung bedürfe.

Da dieses meines Erachtens schon aus rechtsstaatlichen und demokratiepolitischen Erwägungen verfassungsgesetzlich gebotene Prozedere nicht eingehalten worden ist, erachte ich jedes darauf folgende legislative Vorgehen für verfassungswidrig. Sehen­den Auges werde ich persönlich daher einer Gesamtänderung unserer Bundesverfas­sung, die keinem Volksreferendum unterzogen worden ist, bewusst nicht zustimmen. Denn bei dieser ultimativen Preisgabe unserer verbliebenen Restsouveränität im Kern­bereich unserer Verfassung, also unseres staatlichen Grundgesetzes, mache ich als Volksvertreter, aber auch als Professor, das heißt, wörtlich übersetzt, als Bekenner meines wissenschaftlichen Berufes, und nicht zuletzt als österreichischer Patriot, kurz: als Freiheitlicher, nicht mit.

Dafür hoffe ich auf Ihr Verständnis und Ihren demokratiepolitischen Respekt. – Ich danke Ihnen. (Beifall der Bundesräte Mag. Gudenus und Ing. Kampl.)

9.30


Präsident Mag. Georg Pehm: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Bieringer. – Bitte, Herr Bundesrat.

 


9.30.01

Bundesrat Ludwig Bieringer (ÖVP, Salzburg): Herr Präsident! Hoch geschätzter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Herr Staatssekretär! Meine sehr


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