Bundesrat Stenographisches Protokoll 721. Sitzung / Seite 13

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

auch in einer ein bisschen anderen personellen Besetzung, dieses Muster eines Dis­kussions- und Entscheidungsprozesses in Verfassungsfragen zu kopieren.

Der entscheidende Fortschritt dieses Textes dieser europäischen Verfassung sind sicher die textliche und die materielle Vereinheitlichung. Es ist in der Berichterstattung und von den bisherigen Rednern auf viele dieser Aspekte hingewiesen worden. Jawohl, der Gesetzgebungsprozess, das Zusammenwirken der Mitgliedstaaten, die Ent­scheidungsprozesse sind gestrafft, vereinfacht und vor allem durch die Ausweitung des Mehrheitsprinzips auch rationalisiert worden. Wer will, wird sich in diesem System des europäischen Verfassungsvertrages leichter zurechtfinden als in den bisherigen, ein bisschen dispersen Verträgen der Union.

Es gibt insbesondere durch die Übernahme und Verbindlichmachung der Grundrechts­charta auch einen entscheidenden inhaltlichen Fortschritt, aber es bleibt trotzdem – und darauf ist gerade angesichts mancher Debatten nicht nur in Österreich hinzu­weisen – eine Verfassung, ein Rahmen für politisches Handeln. Jede Verfassung, die ihre Aufgabe erfüllt, muss vieles, nicht gerade das und das Gegenteil davon, aber eine große Breite von Initiativen ermöglichen. Die Verfassung, die österreichische und die europäische, muss den Rahmen vorgeben, innerhalb dessen kontroverse politische Diskussionsprozesse und letztlich Entscheidungen stattfinden.

Um das ganz politisch anzusprechen: Jawohl, eine Europäische Verfassung muss eine konkrete sozialdemokratische wie eine neoliberale Politik ermöglichen. Das eine wie das andere kann und darf durch einen Verfassungsgesetzgeber nicht ausgeschlossen werden.

Ich spreche dieses Thema sehr bewusst an, weil ich weiß, dass es in anderen euro­päischen Staaten innerhalb der Linken darüber eine Debatte gibt. Es ist richtig und notwendig, auch in diesem Diskussionsprozess hier in Österreich auszusprechen, dass unserer festen Überzeugung nach jene irren, die diese Verfassung zu einem neolibe­ralen Projekt erklären, dass jene irren, die meinen, unter den Rahmenbedingungen dieser Verfassung sei nur eine bestimmte Art von Politik möglich. Nein, es wird ein Rah­men gesetzt – eine andere Politik braucht eine politische Mehrheit, eine Unterstüt­zung in der Gesamtheit und in den Mitgliedstaaten; keine Frage, dass meine Partei­freunde und ich uns darum bemühen werden –, aber es ist nichts in diesem Verfas­sungsvertrag, was eine Entwicklung zu einem sozialeren Europa, zu einer anderen Gewichtssetzung unmöglich macht und verhindert.

Sie können mir glauben, dass wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten einer Verfassung nicht zustimmen würden, die hier eine Blockade bestimmen würde, die uns die Erreichung des Ziels, für das wir eintreten, ein soziales Europa, unmöglich machen würde.

Die zweite Dimension, die anzusprechen ist, geht über den Verfassungstext hinaus. Herr Professor Böhm hat De Gaulles Wort vom „Europa der Vaterländer“ zitiert. Ich glaube, dass das eine Parole der Vergangenheit ist. Wenn wir weiterhin glauben, die Europäische Union als ein bloßes Staatenbündnis begreifen zu können, in dem die Vaterländer entscheiden und diese nationale Dimension nicht transzendiert wird, dann wird der europäische Prozess zum Stillstand kommen. Und wenn wir – und das gehört zu den tragischsten Erscheinungen – die Diskussion über die Union immer nur im nationalen Kontext führen, dann werden wir auch keinen Schritt weiterkommen.

Meine französischen Freunde, die ich mehrfach getroffen habe, haben in den letzten Wochen immer traurig gesagt: Jedes Mal, wenn Raffarin im Fernsehen das Wort ergreift, verliert das Ja wieder 2 Prozent. Es ist nämlich überhaupt keine Frage, dass am Sonntag dort zu einem guten Teil nicht über die Europäische Verfassung, sondern über die ganz konkrete französische Regierung abgestimmt wird.

 


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite