Bundesrat Stenographisches Protokoll 721. Sitzung / Seite 14

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In Österreich haben wir erfreulicherweise eine andere Situation, sonst würde ja die Verfassung vielleicht auch ein Nein riskieren, nämlich dass wir die Diskussion so führen konnten, dass wir tatsächlich über die Europäische Verfassung abstimmen und nicht über die Bundesregierung.

Aber genau darum geht es: Wir haben es nicht zuwege gebracht, einen europäischen politischen Diskurs zu entwickeln, der von der engstirnigen Sicht: Was bewirke ich mit meiner Haltung oder meiner Stimme?, oder auch von der sehr kurzsichtigen Stellung­nahme: Was ist „gut“ – unter sechs Anführungszeichen – für mein Land?, wegkommt.

Es ist eine tendenziell falsche Sicht, Debatten so zu führen, als würden ein paar Millionen Euro, die nicht überwiesen werden oder die man doch zurückbekommt, über das Wohl und Wehe des eigenen Landes entscheiden. Umwegrentabilität, um das einmal so zu nennen, die dynamische Weiterentwicklung des europäischen Projektes bringt allen Mitgliedstaaten auf lange Sicht gesehen ungleich mehr Vorteile als das engstirnige Beharren auf scheinbar nationalen Interessen.

Weit über diesen Verfassungsvertrag hinaus wird es wohl notwendig sein – das ist auch eine Einladung –, einen europäischen politischen Diskurs zu entwickeln, der die nationale Begrenzung und auch den nationalen Egoismus durchdringt und letztlich überwindet.

Es geht nicht darum, das einzelne Vaterland – auch nicht das österreichische! – inner­halb eines europäischen Kontexts, der uns letztlich gleichgültig ist, möglichst gut zu positionieren. Es geht darum, das gemeinsame Ganze, die Union so zu entwickeln und so zu positionieren, dass sich die positiven Auswirkungen auch auf unser Vaterland auswirken.

Wenn wir selbstverständlich dieser Verfassung zustimmen, weil sie ein Schritt in die richtige Richtung ist – über Details möchte ich hier nicht diskutieren, man kann sich, von einem spezifischen politischen Standpunkt ausgehend, andere Formulierungen und andere Regelungen vorstellen, aber darum geht es nicht; es ist ein Schritt in die richtige Richtung –, dann wissen wir auch, dass dieser Schritt zwar von uns beschlos­sen werden wird, dass das aber noch nicht bedeutet, dass er auch getan ist.

Ich glaube, wir sollten unsere sehr, sehr eindeutige Mehrheitsbildung in diesem Haus und im Nationalrat unseren französischen Freunden jedweden politischen Couleurs auch ein wenig kommunizieren. Dass wir das ein paar Tage vor jenem Sonntag beschließen, ist zwar eine Frage unseres politischen Fristenlaufes, aber es ist letztlich auch eine Geste und eine Einladung an ein großes, die europäische Einigung bisher zentral mittragendes Land, sich für das große Ganze und nicht für das kleinliche Innenpolitische zu entscheiden und doch mit einem Ja zu stimmen. Denn wir alle werden darunter zu leiden haben, wenn zwar eine Mehrheit der Mitgliedstaaten – darin besteht kein Zweifel –, aber eben nicht die Gesamtheit der Mitgliedstaaten bereit ist, diesen Vertrag zu ratifizieren.

Es ist nicht so, dass die Europäische Union dazu verdammt ist, pausenlos neue Beschlüsse zu fassen. Es ist das jener Verfassungsvertrag, der im ganz klassischen Sinn den Sprung von der Quantität zur Qualität macht, eine wesentliche Veränderung des Charakters der Union nach sich zieht, und das kann man nur bejahen.

Zumindest unser Aktionsfeld, wenn schon nicht das emotionale Vaterland, ist Europa. In einem weltweiten Spiel der Kräfte kann nur diese größere gemeinsame Einheit als Faktor auftreten. Und wenn wir – bei allen Abstimmungsnotwendigkeiten zwischen uns – gemeinsame Interessen durchsetzen wollen, dann können wir das nur als Euro­päer tun.

 


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