gefällt auch der Begriff „Europa der Vaterländer“ nicht. Das ist wirklich de Gaulle, 40 Jahre oder 35 Jahre her, da gibt es modernere Vokabel. Aber ich weiß, was Sie meinen.
Die Herren der Verträge, die Herren der wichtigsten Entscheidungen oder die Frauen, die Mütter, sind nach wie vor die Mitgliedstaaten. Wenn es um die Frage einer neuen Verfassung, einer Verfassungsänderung geht, um die Frage der Erweiterung, um die Frage der Finanzen, um die wichtigsten Fragen etwa in der Außenpolitik oder in der Verteidigungspolitik: alles einstimmig, alles Sache der Mitgliedstaaten.
Das ist übrigens einer der großen Vorwürfe von glühenden Europäern, die sagen: An dieser Verfassung ist zu kritisieren, dass sie nicht weit genug geht, dass sie eben nicht in allen Bereichen Mehrstimmigkeit vorsieht, was ich gar nicht will. Ich glaube, dass es nach wie vor bestimmte Bereiche geben muss, wo es Einstimmigkeit braucht, etwa in Fragen der Weiterentwicklung der Verträge, Finanzen, auch Verteidigungsfragen. Da bin ich hundertprozentig dieser Meinung. Aber es gibt manche, die sagen, diese Verfassung sei deswegen nicht das Gelbe vom Ei, weil sie die Mitgliedstaaten, den Rat zu stark mache.
Sie meinen, der Vorrang des europäischen Rechts sei neu. – Bitte, Herr Professor, das können Sie nicht ernstlich behaupten. Als wir der Europäischen Union beigetreten sind, hat jeder in Österreich, der sich irgendwie mit der Frage der Europäischen Union beschäftigt hat, gewusst, wir treten einer Wirtschaftsgemeinschaft bei, die ein Gemeinschaftsrecht hat. Grundprinzip ist, dass dieser Wirtschaftsraum nur dann funktioniert, wenn es gleiche Spielregeln gibt. Das muss der Europäische Gerichtshof überwachen und daher gilt das Supremat, der Vorrang, vor dem nationalen Recht und vor der nationalen Rechtsprechung. Das haben wir gewusst und das haben wir auch gesagt.
Manche haben das auch kritisiert. Die haben
gesagt: Deswegen wollen wir nicht in die Europäische Union. Das respektiere
ich, das ist eine klare Position. Aber wenn Sie jetzt sagen, weil wir das, was
gelebtes Recht ist seit Anbeginn der Wirtschaftsgemeinschaft und seit dieser
Binnenmarkt entstanden ist, hineinschreiben, deswegen sei das eine
Gesamtänderung der Verfassung, dann muss ich dem entgegenhalten, Herr Bundesrat
und Herr Professor, das stimmt ganz einfach nicht. Da wird etwas
Selbstverständliches hineingeschrieben. Das hat auch der Präsident des Verfassungsgerichtshofes Karl Korinek
öffentlich bestätigt. Das ist keinerlei qualitative Weiterentwicklung. Das hat
keine zusätzliche Bedeutung für uns. Es ist aber ein wichtiger
Grundbestandteil, damit die Europäische Union überhaupt funktionieren kann. Das
kann es also nicht sein!
Der zweite
Vorwurf, der immer wieder erhoben wird, wenngleich nicht in diesem Haus: Wir
geben damit die Neutralität auf. – Da ist jahrelang formuliert worden, da
ist doch jahrelang nach Formeln, Kompromissen gesucht worden, die letztlich
auch Eingang gefunden haben. Wir wollen zwar eine europäische Verteidigungs-
und Sicherheitspolitik, aber trotzdem soll der nationale Charakter der
Sicherheitspolitik nicht berührt werden.
NATO-Mitglieder bleiben NATO-Mitglieder, wenn sie das wollen. Andere, die beitreten wollen, können dies tun. Allianzfreie, neutrale Staaten, wie die Iren, die Schweden, die Finnen, die Österreicher, können ihren Weg weiterhin gehen. Wir haben dazu auch die Verfassung geändert, damit wir an europäischen Aktionen teilnehmen können, die durchaus auch Kampfeinsätze sein können – allerdings immer basierend auf der UNO-Charta, auf den Grundprinzipien, die uns, so glaube ich, allen selbstverständlich sind. Da ist nichts, was zusätzlich eine Abschwächung unseres gemeinsamen Konsenses bedeutet. Deswegen kann dieser Punkt keine Gesamtänderung der Verfassung sein.
Jetzt sage ich Ihnen auch ganz offen dazu: Man kann natürlich die Position vertreten, dass man über eine solche Frage in jedem Fall eine Volksabstimmung machen sollte,
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