Bundesrat Stenographisches Protokoll 723. Sitzung / Seite 42

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ganz offensichtlich nicht aufgearbeitet ist. Ein Mann, der als SA-Angehöriger an einem Überfall auf einen österreichischen Grenzposten teilnahm und wegen der Ermordung eines Zollbeamten rechtskräftig verurteilt wurde. Dass er seine Strafe nie abzusitzen hatte, das steht auf einem anderen Blatt. Was er seinem Sohn darüber erzählte, hätte ich gerne gewusst.

Ich muss mich auch mit großem Ernst an die größere Regierungspartei, die ÖVP, wen­den. Sind Sie wirklich der Meinung, dass mit dem Austritt dieser beiden Bundesräte aus der Partei Ihres Koalitionspartners und Ihres Quasi-Koalitionspartners jetzt auf ein­mal alles wieder in Ordnung ist? – Sie tragen genauso Verantwortung; nicht Verant­wortung für diese beiden Bundesräte, aber dafür, wen Sie in die Regierung geholt haben. Das ist eine politische Bewegung, in der es nicht nur diese zwei gibt, sondern wohl auch manch andere mit derselben Auffassung, nämlich solche, die mit diesen Auffassungen nicht hinter dem Berg halten, wie Volksanwalt Stadler, und solche, deren vorrangige Qualifikation darin besteht, dass sie in der Öffentlichkeit besser den Mund halten können als unsere beiden Bundesratskollegen.

Wir sind mitten in einem Jahr – darauf wurde verwiesen –, in dem wir das Werden der Zweiten Republik bedenken wollten. Dazu gehört auch deren blutige Vorgeschichte. Die ÖVP hat hier etwas zu bedenken. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns nicht mit eilfertigen Distanzierungen abspeisen würden, sondern als Ergebnis Ihres Bedenk­prozesses Selbstkritik üben würden, nach der Sie sich vielleicht auch wieder etwas leichter in den Spiegel schauen können.

Für viele, nicht nur für die Opposition, war vom ersten Augenblick an klar, dass eine Entscheidung getroffen werden muss, weil klar ist, dass Politiker, die sich durch ihre Äußerungen in die Nähe des Nazismus rücken, nicht an der Spitze des Bundesrates stehen können.

Aber ich habe von allem Anfang an – dazu stehe ich auch heute noch – eine Haltung vertreten, die klar im Gegensatz zu der jetzt von uns, mit unseren Stimmen, zu be­schließenden Lösung stand. Wenn auch das Argument nicht völlig von der Hand zu weisen ist, dass der Republik nun eine Blamage erspart wird, so wird sehr viel offen­kundiger doch jenen eine Blamage erspart, die Herrn Kollegen Kampl politisch zu verantworten haben. Auch heute noch bin ich davon überzeugt, dass es im Sinne einer wehrhaften Demokratie richtiger wäre, einen Präsidenten Kampl zu ignorieren und, wie ich sagte, unter Quarantäne zu stellen. Damit hätten wir deutlich machen können, wo­für wir stehen, und gleichzeitig unter der Führung von zwei bewährten Vizepräsidenten unsere Aufgabe problemlos erfüllen können. Aber natürlich: Dazu hätte es einer ge­meinsamen Vorgangsweise von zumindest drei Fraktionen bedurft. Und diese war nicht herzustellen.

Es war dann die Angst vor einer sechsmonatigen Dauerkrise, die die beiden Regie­rungsparteien, nachdem alle Versuche, Kollegen Kampl zum Rücktritt zu bewegen, ge­scheitert waren, zuletzt doch für eine verfassungsrechtliche Lösung eingenommen hat, die sie einige Wochen davor noch empört abgelehnt hatten.

So wenig eine Anlassgesetzgebung jemals zu begrüßen ist, so ist zuletzt doch eine gemeinsame Lösung gefunden worden, die in einem zentralen Punkt die zentrale For­derung der Sozialdemokraten erfüllt. Denn es ist nun jene Fraktion, die den Erstgereih­ten vorgeschlagen hat, die ihn auch durch einen anderen Bundesrat ersetzen kann. Damit bleibt einerseits sichergestellt – auch das ist wichtig, Kollege Hösele –, dass eine Landtagsmehrheit keiner Partei vorschreiben kann, durch wen sie im Bundesrat vertreten ist, aber andererseits ist damit auch klargestellt, dass die politische Verant­wortlichkeit beim Verursacher liegt, der dann für eine angemessene Besetzung des Bundesratspräsidenten zu sorgen hat.

 


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