Bundesrat Stenographisches Protokoll 724. Sitzung / Seite 70

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müssen wir sehen. Wir müssen die Financiers des Terrorismus austrocknen. Dazu bedarf es mehr Möglichkeiten, als wir sie bisher haben.

Zweitens: Ich halte überhaupt nichts von der Ideenwelt eines Samuel Huntington mit seinem Buch „The Clash of Civilizations“, der nun einige verfallen sind. Das scheint mittlerweile irgendwo die Grundlage zu sein, dass die Ost-West-Konfrontation in eine christlich-islamische Konfrontation mutiert sei. – Das ist Schwachsinn! Das ist nicht der Fall!

Tatsache ist, dass wir islamische Gesellschaften in Europa, in den USA, wo auch immer haben und dass es kein Gegensatz der christlichen oder der islamischen Welt zueinander ist. Aber Tatsache ist, dass es Traumatisierungen gibt, Traumatisierungen in der islamischen Welt durch ein Grundübel, und auch wir haben es erst durch die Bildung der Europäischen Union geschafft, dieses Grundübel, nämlich den Nationalis­mus, endlich zu besiegen. Aber als ich heute dem Landeshauptmann von Kärnten zugehört habe, habe ich mir gedacht, wir sind schon wieder in den Nationalismus zurückgefallen. – Das heißt, gerade diese Wurzeln des Nationalismus bilden diesen Nährboden.

Es ist wichtig für uns, gerade dort, wo wir multi-ethnische Kleinode haben, nach wie vor eine ganz aktive Politik zu betreiben, zum Beispiel was Bosnien, aber auch was den Kosovo betrifft. Da kann Europa zeigen, wie integrationsfähig es ist, und da schaffen wir es, genau dieses Gedankenbild eines amerikanischen Pseudowissenschaftlers, wie es Huntington ist, Lügen zu strafen.

Für mich ist es umso bitterer, dass diese gesamte Diskussion um den Beitritt der Türkei auf dieser Ebene geführt wird – ohne zu sehen, welche historische Chance ein Beitritt der Türkei in der Überwindung dieser unsäglichen Diskussion wäre, dass es einen Gegensatz zwischen der christlichen und der islamischen Religion gebe. – Keine anderen Religionen stehen einander näher als diese beiden Religionen. Sie haben zum Teil sogar dieselben Heiligen, und sie fußen zum Teil auf denselben Mythen, wenn man das einmal so sagen will, auf denselben Interpretationen. Gerade deshalb scheint mir ein viel weniger aufgeregter, ein viel weniger ängstlicher Umgang mit der Bewerbung der Türkei ganz, ganz wichtig.

Das dient der Austrocknung des Terrorismus, das dient dazu, endlich die Financiers des Terrorismus nach vorne zu holen. Die Milliarden von Dollar, die zur Finanzierung des Terrorismus notwendig sind, liegen auf unseren Banken, liegen im internationalen Finanzgeschäft. Da gilt es, aktiv anzusetzen.

Lieber Herr Kollege Kühnel, es geht nicht darum – so schrecklich jegliches Attentat ist –, denn das Hauptziel all dieser Attentate ist die liberale und offene Gesell­schafts­ordnung. (Bundesrat Dr. Kühnel: Das habe ich gesagt!) Genau die Reaktion, die wir setzen, die immer wieder in diesen Forderungen im Kampf gegen Terrorismus zum Ausdruck kommt, bewirkt, dass wir eigentlich die Ziele des Terrorismus erfüllen, indem wir unsere liberale Gesellschaftsordnung und unsere Bürgerrechte einschränken, ein­schränken, einschränken – und das mit dem Hinweis: Wir bekämpfen den Terrorismus! Genau da schafft der Terrorismus systematisch jene Veränderung einer Gesellschaft, die er sich letztlich zum Ziel gesetzt hat.

Lieber Kollege Kühnel, ich würde Sie einfach bitten, verwenden Sie für Staaten, die sich in der UNO befinden, nicht die Definition der Amerikaner, die einige als „Schurken-Staaten“ bezeichnen. Das ist Reagan und Bush. Ich glaube, wir haben es nicht notwendig, von „Schurken-Staaten“ zu sprechen. Das ist amerikanische Kriegsrhetorik und Cowboy-Mentalität. Ich kenne keine „Schurken-Staaten“, sondern Staaten, in denen sich Menschen bemühen, demokratische Ordnungen zu erstellen, in denen es innere Diskussionen gibt, in denen es innere Spannungen gibt, aber ich kenne keinen


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