Bundesrat Stenographisches Protokoll 724. Sitzung / Seite 74

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Kollege Mayer, Menschen, die Asyl suchen und um Asyl werben, grundsätzlich als potentielle Kriminelle zu behandeln, ist eine Vorgangsweise ... (Bundesrat Mayer: Das behauptet niemand!) – Ja, aber die Inhalte dieser Reform stellen das de facto so dar. Kollege Mayer, wer verlässt freiwillig seine Heimat? Es gibt immer bestimmte wichtige Gründe dafür, dass das geschieht. Und dann in ein Land zu kommen, das Menschen in dieser Art und Weise behandelt, ist tatsächlich widerlich. (Bundesrat Mayer: Wieso haben wir dann die höchste Quote in Europa?)

Kollege Mayer, schau dir doch einmal die Zahlen genau an und du wirst sehen, dass das so nicht stimmt! Das ist auch vollkommen klar: Betrachte nur die geopolitische Lage! Ein Großteil der Asylwerber will ja gar nicht in unserem Land bleiben. Wir haben eine spezifische Stellung, weil wir eine Schengen-Grenze haben, und da geht auch der Weg weiter.

Der nächste Punkt ist dieser Widerspruch in Bezug auf die Handlungsfähigkeit von Minderjährigen im Asyl- und im Fremdenpolizeigesetz. Im Fremdenpolizeigesetz ist die Handlungsfähigkeit mit 16 Jahren festgelegt. Wobei ich schon dazusagen muss, man soll mir doch einmal einen 16-Jährigen zeigen, der rechtskundig ist, wenn er in ein fremdes Land kommt, der der Landessprache kundig und voll handlungsfähig ist. Im Asylgesetz hat man die Handlungsfähigkeit bei 18 Jahren, mit Erreichen der Volljährigkeit, belassen.

Der letzte Punkt, auf den ich jetzt eingehen möchte, ist in der Öffentlichkeit kaum zu Tage getreten und diskutiert worden, nämlich das Thema der zweiten Generation und des Ausweisungsschutzes. Das ist ein Punkt, den ich für schwerst bedenklich halte und der mich persönlich sehr betroffen macht.

Ich erinnere daran – und jetzt auch ein Stück weit der Appell an die sozial­demo­kratische Fraktion –: Es war im Jahre 1995, als der damalige Innenminister Caspar Einem Folgendes vorgeschlagen hat: zum einen die Aufenthaltsverfestigung für Zuwanderer und zum anderen – das Wesentlichere – einen absoluten Ausweisungs­schutz für in unserem Land aufgewachsene Kinder. – Das halte ich für eine ganz wichtige und zentrale Errungenschaft, die Caspar Einem anno dazumal durchgesetzt hat.

Genau dieser absolute Ausweisungsschutz wird jetzt aufgehoben. Ich denke, das ist ein Punkt, wo jeder Mensch mit Herz, mit Verständnis für Menschenrechte, mit Ver­ständnis für Kinder und Jugendliche sagen muss: Das geht so nicht! Selbstverständlich können auch schon in diesem Land aufgewachsene Jugendliche ein Verbrechen begehen, das dazu führt, dass sie zwei Jahre in den Strafvollzug müssen. Aber ist es tatsächlich gerechtfertigt, sie auf Grund dessen in ein Land abzuschieben, aus dem zwar ihre Eltern kommen, das sie selbst aber unter Umständen überhaupt nicht ken­nen, dessen Landessprache sie nicht kennen? – Das ist eine Frage des Umgangs. Was heißt das dann in Bezug auf die Resozialisierung eines solchen Jugendlichen? Er ist hier aufgewachsen, hat hier seine Freunde, seine Schule – und soll abgeschoben werden?! – Das kann es doch nicht sein!

Ich halte diesen Bereich für eine der massivst problematischen Passagen in diesem Fremdenpaket 2005. Ich meine, man muss daher auch generell darüber nachdenken: Wie steht es denn um Kinder, die hier geboren, die hier aufgewachsen sind? Wir haben noch immer das Abstammungsprinzip und nicht das Territorialprinzip, wie es viele andere Länder haben – USA, Kanada, Australien und so weiter –, und insofern gilt es, die Aufhebung dieses absoluten Ausweisungsschutzes abzulehnen und klare Schritte für ein faires, für ein menschengerechtes Asylrecht zu setzen.

Wir haben europäische Asylwerber in vielen Epochen der letzten Jahrhunderte gehabt. Einstein, Brecht, Mann, Tucholsky, Frank, Dietrich, wie sie auch alle heißen, waren


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