Bundesrat Stenographisches Protokoll 724. Sitzung / Seite 104

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Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um Ihnen ein bisschen ein Gefühl zu ver­mitteln, von wie vielen Menschen wir hier reden: Wir sprechen von 800 000 Menschen in Österreich, die Familien haben, die Angehörige haben, die Freunde und Bekannte haben und die täglich vor der Herausforderung stehen, welchen Zugang und welche Möglichkeit sie haben, ihren Tag selbst zu gestalten.

Der SPÖ fehlen im vorliegenden Entwurf jene Paragraphen, die eine konkrete und praktische Umsetzung eines nachhaltigen und auf Rechtsansprüchen basierenden, effizienten Behindertengleichstellungsgesetzes ermöglichen würden.

Ich möchte unsere Kritikpunkte anhand von einigen Beispielen erläutern, beginnend damit, dass der Begriff „Behinderung“ im Gesetz nicht definiert ist. Wir könnten uns durchaus vorstellen, dass die Definition zum Beispiel folgendermaßen lauten könnte: Menschen mit Behinderung sind Menschen, die körperliche, organische oder psychi­sche Schwächen aufweisen, sinnesbehindert sind, aber auch Menschen mit Lern­schwächen.

Der im Entwurf definierte Anwendungsbereich ist zwar sehr umfassend, aber viele einzelne Anwendungsbereiche sind, so glaube ich, noch nicht einmal gedanklich erfasst. Erfasst ist zwar die Zugänglichkeit zu öffentlichen Verkehrsmitteln, aber nicht zu Geschäftslokalen oder zur Nutzung des Internets. Weiters fehlt nach wie vor das Verbot der Diskriminierung außerhalb der Arbeitswelt.

Durchaus positiv ist ein Beitrag der Landesstelle des Bundessozialamtes hinsichtlich des angebotenen Schlichtungsverfahrens, wobei auch gleichzeitig ein Mediations­verfahren anhängig sein und in Anspruch genommen werden kann und den Parteien daraus keine Kosten entstehen. Kommt es jedoch zu keiner Einigung innerhalb von drei Monaten, so kann das Handelsgericht angerufen werden und die Person mit Behinderung trägt das Kostenrisiko bei Verlust des Verfahrens leider zur Gänze.

Ein wichtiger Kritikpunkt ist die komplizierte Ausgestaltung der Verbandsklage. Behin­derte Menschen haben oft nicht den finanziellen Hintergrund, Juristen und Anwälte mit ihren Anliegen zu beschäftigen. Die Verbandsklage gibt dem Dachverband der Behin­dertenverbände die Möglichkeit, behinderte Menschen zu unterstützen. Sie bedarf jedoch wieder einer Zustimmung des Bundesbehindertenbeirates, der zwar aus 25 Personen besteht, jedoch nur zweimal jährlich tagt.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die rechtliche Stellungnahme betreffend Kompetenzen des Behindertenanwalts oder der Behindertenanwältin. Während Tierschutzombudsleute, UmweltanwältInnen und GleichbehandlungsanwältInnen unter anderem Parteienstel­lung und weit reichende Kompetenzen genießen, wird dies dem Behindertenanwalt oder der Behindertenanwältin nicht zugestanden.

Der Anwalt/die Anwältin soll vom Minister bestellt werden und ist zuständig für Bera­tung und Unterstützung der betroffenen Personengruppe. Er/sie kann Sprechstunden oder sogar Sprechtage abhalten, und – was zumindest im Gesetz steht – er/sie ist weisungsfrei und selbständig.

Was zusätzlich dazu kommt, ist, dass er/sie Untersuchungen durchführen, Berichte veröffentlichen und Empfehlungen erteilen kann, jedoch muss er/sie jährlich nur einen Bericht an das Ministerium richten; ebenso einen mündlichen Bericht an den Bundes­behindertenbeirat, jedoch nicht an das Parlament.

Trotz zweimaligen Nachfragens haben die Beamten des Ministeriums im Ausschuss behauptet, dass der Behindertenanwalt weisungsfrei sei. – Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist schlichtweg falsch! Man braucht dazu eine Verfassungs­kompetenz, jedoch wurde bezüglich der Funktion des Behindertenanwalts keine Verfassungskompetenz eingebaut.

 


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