Bundesrat Stenographisches Protokoll 725. Sitzung / Seite 59

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drinnen finden oder welchen Spin Sie ihnen geben. Nehmen wir doch einfach das, was da drinnen steht! 460 000 Menschen in Österreich sind akut armutsgefährdet. Das steht im Sozialbericht. Auf Ihre Musik können die gern verzichten, Herr Kritzinger! (Bei­fall bei den Grünen und bei Bundesräten der SPÖ.)

Wenn wir die beiden Berichte von Experten und Expertinnen vergleichen, den vor­angegangenen mit diesem jetzt vorliegenden, so muss man sagen, dass die Anzahl der akut Armutsgefährdeten von 300 000 auf 460 000 gestiegen ist. (Bundesrat Mag. Pehm: Das sind 50 Prozent mehr!) Das sagt der Bericht, den Sie hier als den Ausdruck Ihrer Regierungstätigkeit so bejubeln. Diese Anzahl ist von 300 000 auf 460 000 gestiegen, sagt Ihr Bericht selbst über Ihre Tätigkeit! (Vizepräsidentin Hasel­bach übernimmt den Vorsitz.)

Weiters bedeutet dies steigende Zahlen bei Sozialhilfebeziehern und -bezieherinnen, die dramatische Zunahme bei den Richtsatzergänzungen für Arbeit Suchende – ge­rade wegen des Anwachsens der Billiglohn-Jobs –, Wartelisten bei den Schuldnerbera­tungen, eine steigende Anzahl von Menschen mit psychischen Krisen und bei den psy­chosozialen Diensten. Über das Anwachsen der Anzahl der Hilfe Suchenden bei den Sozialberatungsstellen möchte ich jetzt gar nicht reden.

Wissen Sie, was das heißt: akut arm? – Akut arm, das bedeutet ein Einkommen unter 780 €, meine Damen und Herren! Der Sozialbericht, der heute vorliegt, sagt, dass beinahe eine halbe Million Österreicher und Österreicherinnen ein Einkommen von weniger als 780 € haben. Da ist es wahnsinnig „lustig“, Herr Kritzinger, dass Sie von der Musik reden, da ist es wahnsinnig „lustig“, was Sie sagen. (Zwischenrufe der Bun­desräte Kritzinger und Mag. Himmer.)

Kollege Himmer, es ist gut, dass Sie sich melden. Etwas, was mir in diesem Bericht aufgefallen ist – und das hängt mit einer derzeit und seit Monaten kommentierten und diskutierten Schwachstelle der Bundesregierung zusammen –, ist die gesamte Bil­dungspolitik. 20 Prozent Armutsgefährdungsrisiko für jemand, der Pflichtschulab­schluss hat – 20 Prozent! Das heißt, Personen mit Pflichtschulabschluss weisen eine Beschäftigungsquote von nur 50 Prozent auf; im Vergleich dazu: mittlere Schule 76, mit Matura 67, mit Uni-Abschluss 83 Prozent. Ich verweise hier nur auf die PISA-Studie und all die Mängel, die wir im Bildungssystem evident haben, wobei uns von Europa aus bewiesen wird: Hallo, in eurem Schulsystem funktioniert etwas nicht, da stimmt etwas nicht!

Gleichzeitig sehen wir heute, wenn wir den Armutsbericht diskutieren, welche Aus­wirkungen das hat. Wenn das Schulsystem – und das ist eine Frage der sozialen Herkunft, der ethnischen Herkunft – keine höhere Durchlässigkeit zulässt, wenn dieses Schulsystem nicht eine höhere Befähigung aller sozialen Schichten und aller ethni­schen Herkünfte zulässt, produzieren wir für den nächsten Armutsbericht den nächsten Anstieg. Das ist leider Gottes eine Schwachstelle, eine extreme Schwachstelle der derzeitigen Regierungspolitik. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Es gibt noch jemanden in diesem Land, der dies – so wie die Experten und Expertin­nen von Ministeriumsseite – ganz trocken und nüchtern alle Jahre feststellt: Das ist die Armutskonferenz, NGOs, hauptsächlich – liebe Kollegen und Kolleginnen von der ÖVP! – und schwerpunktmäßig getragen von der katholischen Kirche und ihren Gliede­rungen und Organisationen; dies ist also gar nichts Anrüchiges. Diese Armutskonfe­renz sagt: Wenn unsere Gesellschaft ein großes Haus ist, können wir es nicht achsel­zuckend hinnehmen, dass immer mehr Menschen im dunklen Keller verschwinden; unser Ziel muss es daher sein, zu verhindern, dass Menschen in den Keller kommen, und nicht, den Keller auszubauen. – Aber vieles, was hier geschieht, heißt, den Keller auszubauen.

 


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