Bundesrat Stenographisches Protokoll 733. Sitzung / Seite 47

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Die Wahrheit ist und aus der Praxis der EU und auch aus diesem Bericht wird deutlich, wie wenig das europäische Projekt definiert ist, wie sehr widerstreitende Interessen das Bild der Europäischen Union verunklaren, wie weit die Union nicht in einem Zu­stand ist, sich den Herausforderungen zu stellen, und wie massiv daher der Vertrau­ensverlust bei wesentlichen Teilen der europäischen Bevölkerung ist. – Keine Frage, eine Debatte im österreichischen Bundesrat wird das auch nicht auf die richtigen Schienen setzen, etwa von 11 Uhr bis 11.35 Uhr. (Zwischenruf des Bundesrates Knei­fel.) Gut, einverstanden, Kollege Kneifel, aber ich habe nicht Absicht, diese Redezeit, die du mir angeboten hast, auszunützen. Er hat gesagt: „Nicht einmal bis auf d’Nacht!“

Mir geht es darum, zumindest das in unsere Debatte einzubringen, dass das viel zi­tierte Erfolgsmodell Europäische Union ein bisschen ins Stottern gekommen ist, ein bisschen sehr an Dynamik verloren hat, ein Erfolgsmodell aus der vorigen Saison ist. Das Erfolgsmodell der heurigen Saison muss erst designt werden.

Ich könnte es mir leicht machen und relativ verantwortungslos diesen Bericht durch­ackern nach Punkten, die das so drastisch illustrieren, dass wir bei Verbalkompro­missen großartig sind und die Substanz eine relativ dünne ist. Ich will mich auf einige wenige Beispiele beschränken; auch solche, die hier aus diplomatischer Höflichkeit nicht vorkommen können, um das klar zu sagen.

Das europäische Verfassungsprojekt ist sozusagen gescheitert, bevor es ins Finale kam. Ich weiß schon, Frau Außenminister, Sie haben – und das ist verdienstvoll – ge­sagt, man müsse versuchen, dieses Projekt wieder in Gang zu bringen, aber ich habe diese Formulierung deshalb verwendet, weil natürlich jeder weiß: Nach einer wie im­mer herbeigeführten Zustimmung der beiden Länder, die bisher nein gesagt haben, sind wir nicht am Ziel, sondern wir sind dann erst vor den Toren der wirklich harten Brocken. Also die Zustimmung der Niederlande und Frankreichs würde dem Prozess Dynamik verleihen. Ob sich Polen und das Vereinigte Königreich von dieser Dynamik überzeugen lassen, ist eine gute und von mir nicht beantwortbare Frage. Frau Bundes­minister, wenn Sie uns das Versprechen liefern könnten, die Zwei sagen dann ohnehin ja, würde das der Dynamik eine ungeheure Verstärkung verleihen.

Genau darum geht es aber. Dahinter steht nicht Paragraphenfuchserei oder Kleinlich­keit, sondern dahinter stehen durchaus unterschiedliche Konzeptionen über den Inhalt des europäischen Projektes.

Ich will jetzt niemandem eine Politik unterstellen, die kein Staat so formuliert hat, aber es ist schon klar – Kollege Kampl hat den Satz zitiert, wenn auch nicht ganz an der Stelle, wo ich meine, dass er hinpasst –, in Verfassungsverhandlungen mit dem Satz „Nizza oder Tod“ zu gehen, ist nicht gerade ein Ausbund an Kompromissbereitschaft der polnischen Seite. Auf dieser Basis können wir nebeneinander operieren, miteinan­der tun wir uns schwer. Und die britische Seite, keine Frage, hält sich viel zu Gute auf ihre Balancerolle zwischen einem vielleicht werdenden Europa und den real existie­renden Vereinigten Staaten. Wo im Ernstfall die Loyalitäten liegen, ist eine gute, aber eigentlich beantwortete Frage.

Ich glaube, diese klare Frontstellung ist, das verstehe ich schon, nicht die Aufgabe der Diplomatie, natürlich nicht, aber es ist eine Aufgabe des politischen Diskurses, diese Frontstellung deutlich zu machen und damit vielleicht etwas zu bewirken. Wir müssen das europäische Projekt aus dieser Unverbindlichkeit, in die es nach der Erweiterung hineingeraten ist, wieder herausführen und wir dürfen uns keine neuen Unverbindlich­keiten leisten – das tun wir aber. Ein Beispiel ist die Erweiterung oder die Annäherung, was immer dann technisch dabei herauskommt, gegenüber Staaten des Westbalkans, aber auch den anderen Nachbarstaaten der Union.

 


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