Bundesrat Stenographisches Protokoll 737. Sitzung / Seite 120

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Selbstbedienungsläden!? – Wenn Sie sich darüber lustig machen wollen, wie Leute unter der Armutsgrenze leben, dann tun Sie mir Leid! (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Kühnel.) Ich mache mich darüber nicht lustig! Ich glaube, jeder Mensch hat ein Recht auf Sicherheit und Teilhabe in diesem Lande und in einer Gesellschaft, die zu den reichsten dieser Welt zählt. Alles andere ist eine beschämende Armuts­finanzierung, mit der Leute bewusst am Rand der Gesellschaft gehalten werden! (Beifall bei der SPÖ.)

Jetzt telefoniert Kollege Bieringer. Er wird sich dann wahrscheinlich auch darüber noch lustig machen, wenn ich jetzt die Frauenpolitik mit einbeziehe und sage: Es ist wirklich beschämend, wenn am Beginn des 21. Jahrhunderts die Altersarmut für Frauen wiederum zum Faktum wird. Es wird nämlich jetzt so getan, als wäre Teilzeit und geringfügige Beschäftigung das ganz Normale, das sich Frauen noch dazu meist freiwillig aussuchen, und das passe schon für sie.

Wenigstens hat sich aber gleichsam als Erleuchtung auch im konservativen Lager die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine unab­dingbare Notwendigkeit ist. Dazu muss man gratulieren!

Nun noch zu einem ganz anderen Teil des EU-Arbeitsberichtes. (Bundesrat Tiefnig: Sie hätten 30 Jahre Zeit zu dieser Erkenntnis gehabt! – Zwischenruf des Bundesrates Mayer.) Darf ich noch fertig reden?!

Es geht jetzt um einen anderen Teil des Arbeitsberichtes und um Finnland als Vorsitzland: In seiner Antrittsrede hat der finnische Ministerpräsident betont, dass ihm die EU-Erweiterung, Energiepolitik und Transparenz, vor allem aber auch die Reform der Politik betreffend justizielle und polizeiliche Zusammenarbeit sehr wichtig sind.

Im Hinblick darauf finde ich es nämlich bezeichnend, wenn die Position Österreichs, also des Staates, der gerade den EU-Vorsitz übergeben hat, in diesem Bericht akkurat fehlt! Das ist umso erstaunlicher, wenn man hört, dass im März ein Treffen der Innenminister der sechs größten EU-Länder stattgefunden hat, bei dem ganz heikle Punkte der Kooperation in Sicherheitsfragen besprochen wurden, und Österreich nicht einmal eingeladen war. Das erzeugt bei mir nicht unbedingt großen Stolz und Befriedigung. Da geht es nämlich auch um die Kernfrage: Wie geht es mit der Demokratie mitten in einem juristisch überhaupt nicht definierten „war against terrorism and corruption“ weiter? Wie schaut es da aus?

Die Frage des Gesetzgebungsverfahrens ist der Schlüssel dazu! Derzeit kann nur der Ministerrat einstimmige Beschlüsse fassen; das Europäische Parlament hat aus­schließlich ein Stellungnahmerecht. – Ich denke, es wäre ein ganz entscheidender Fortschritt für die Demokratie, wenn in Zukunft das Europäische Parlament selbst mehrheitlich entscheiden könnte.

Weiters teile ich die Auffassung zur derzeitigen Entwicklung im Prozess um die Europäische Verfassung im Positionspapier der finnischen Ratspräsidentschaft, wo es heißt, dass lediglich die Fortsetzung der Denkpause das Vorantreiben des Verfas­sungs­prozesses nicht hinreichend fördert.

Herr Staatssekretär Winkler, auch diesbezüglich befinde ich mich im völligen Wider­spruch zu Ihnen; meine Analyse ist eine andere: Ich meine, dass das eine sehr vornehm formulierte, aber nichtsdestotrotz sehr deutliche Kritik am EU-Vorsitz Österreichs ist, bei dem zwar viel geglänzt, das Substanzielle aber nicht stattgefunden hat. Damit ist aus meiner Sicht das Nichts-Sagen zur Lissabon-Strategie, wie es weitergeht, gemeint; dass keine Impulse und Signale gesetzt wurden, wie es mit dem Europäischen Sozialmodell weitergeht.

 


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