BundesratStenographisches Protokoll743. Sitzung / Seite 85

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Es war aber nicht meine Absicht, den Bogen so weit ... (Bundesrat Dr. Kühnel: Ich bin kein Heuchler!) – Bitte? (Bundesrat Dr. Kühnel: Ich bin kein Heuchler, Herr Professor!) Habe ich das gesagt? (Bundesrat Dr. Kühnel: Ich meine, wenn Sie sagen, dass das nicht meine Überzeugung ist!) Ich habe gesagt: Es ist falsch! (Bundesrat Dr. Kühnel: Das kommt aufs selbe hinaus!) Ich habe gesagt: Es ist falsch. (Bundesrat Dr. Kühnel: Sie haben gesagt: „glaubt er selbst nicht“!) Gut, da gebe ich Ihnen ja gerne das Recht: Es gibt viele verschiedene Überzeugungen, und solange sie friedlich nebeneinander zu leben in der Lage sind, habe ich kein Problem damit – und ich sie nicht zahlen muss.

Ich wollte das aber nicht in den Mittelpunkt meiner Überlegungen stellen, sondern es ist dies natürlich ein Anlass, einerseits dem europäischen Projekt Respekt zu zollen, was beim vorvorigen und bei diesem Tagesordnungspunkt auch von anderen Rednern getan wurde. Es ist klar zu sehen, dass der Rückblick zwar ein stolzer ist, aber er hilft uns nicht.

Ich sehe keinen Sinn darin, zu beklagen, dass nur für 7 Prozent die Friedenserhaltung in Europa eine Begründung für die EU ist. Ja, wir beide stammen aus einer Generation, die sich unter Krieg in unseren Breiten zumindest noch etwas vorstellen kann. Für die heute jungen Menschen ist das – erfreulicherweise! – keine für sie vorstellbare Lebens­realität, und der Versuch, ihnen das einzureden, ist von vornherein zum Scheitern ver­urteilt.

Wir haben in diesem Land um die Demokratie gekämpft, und es haben Menschen da­für ihr Leben gelassen. Wenn wir heute über unser politisches, demokratisches System sprechen, dann reden die Menschen über die Mängel dieses Systems, über das, was sie als unzulänglich empfinden, und ich halte auch das für gut und richtig. Es muss sich jede Generation in der Welt oder in dem Europa einrichten, das sie vorfindet, und nicht in einer 50 Jahre zurückliegenden Geschichte, in der die Waffen erst kaum geschwie­gen hatten zwischen Hauptakteuren dieses europäischen Projekts.

Die Frage ist daher sehr viel mehr diese: Was sind die Aufgaben, die sich Europa heu­te, vielleicht nicht für die nächsten 50 Jahre, aber für die nächsten Jahrzehnte, stellt? – Da sind drei Dinge anzumerken.

Eine Erfolgsgeschichte auch der letzten Jahrzehnte, die fortschreibbar ist, ist der Wohl­standsausgleich unter den Mitgliedstaaten. Der Erfolg einzelner Mitgliedstaaten ist un­terschiedlich stark, aber es gibt Erfolgsgeschichten, und dieses Solidaritätsprinzip in­nerhalb der europäischen Gesellschaft – weil das ja von den Menschen mitgetragen werden muss – ist etwas, was weiterhin Gültigkeit hat und vermehrt Gültigkeit hat, weil naturgemäß die heute neuen Mitgliedstaaten in ihrem Wohlstandsniveau so weit zu­rückliegen, dass hier gewaltige Anstrengungen erforderlich sind.

Das zweite Element ist, dass wir uns klar werden darüber, dass dieses Europa nicht nur einen wirtschaftlichen Schwerpunkt haben darf, sondern auch einen Sozial-Schwerpunkt haben muss! (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.) Wenn es richtig ist, dass dieser Aspekt in der sogenannten Berliner Erklärung zu Ehren kommt, dann ist das ein großer Schritt vorwärts. Denn Europa kann nicht nur eine Freihandelszone und ein großer Wirtschaftsraum sein, es muss auch ein großer Rechtsraum, ein Raum der Demokratie, aber auch der sozialen Gerechtigkeit sein. Es ist keine Frage, dass dieser Aspekt in den letzten Jahren eindeutig zu kurz gekommen ist! (Beifall bei der SPÖ.)

Wir brauchen die europäische Verfassung. Aber gerade dieser Aspekt – nämlich dass er gefehlt hat – hat entscheidend dazu beigetragen, dass es in zwei Staaten mit einer großen europäischen Tradition, einer großen historischen Zustimmung zu diesem Pro­jekt, jeweils ein Nein bei Volksabstimmungen gegeben hat.

 


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