BundesratStenographisches Protokoll748. Sitzung / Seite 99

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Eines ist wichtig, eines dürfen wir hier nicht vergessen – wir sind immerhin Volks­vertreter und betrachten uns als solche –, und eines sollte auch der Herr Innenminister nicht vergessen: dass Gesetze immer Individuen betreffen. Man kann nicht Gesetze und Individuen gegeneinander ausspielen. Das große Ganze kann nicht ein Gegensatz sein zum Schicksal von Einzelpersonen. Ein Gesetzgeber kann Einzelne nicht beiseite lassen, kann nicht so auf Härte setzen, wie das momentan passiert. Unserer Meinung nach könnten diese Fälle, die wir jetzt aus den Zeitungen kennen, durch ein Bleiberecht, wie dieses ja auch von vielen Landtagen gefordert wird, sehr wohl gelöst werden. Diese Probleme müssten nicht bestehen. (Beifall bei den Grünen. – Bun­desrätin Roth-Halvax: Das heißt, jedes Individuum hat ein eigenes Gesetz? Wie soll das funktionieren?)

Ein Bleiberecht hätte den Vorteil, dass jene Menschen, die das getan haben, was der Staat von ihnen verlangt, nämlich sich zu integrieren, sich anzupassen, zu arbeiten, Steuern zahlen und so weiter, hier bleiben, hier weiter leben könnten. Die Zeitungen würden dann vielleicht auch wieder über etwas anderes schreiben – und der Herr Innenminister müsste sich nicht erpresst fühlen.

Ich habe gestern noch gedacht, Bundesminister Platter würde heute hier in den Bun­desrat kommen, und ich wollte ihm eigentlich ein Buch schenken, und zwar ein kleines dünnes Buch von Henry David Thoreau, das den Titel trägt: „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“. – Ich weiß nicht, wer von Ihnen hier dieses Buch gelesen hat, jedenfalls würde ich allen diese Lektüre empfehlen. Henry David Thoreau war ein amerikanischer Philosoph, der Mitte des 19. Jahrhunderts in Amerika gelebt und sich geweigert hat, Steuern zu zahlen, weil er damals dagegen war, dass Amerika einen Angriffskrieg gegen Mexiko geführt und Sklaverei hatte. Thoreau sagte, er wolle nicht, dass seine Steuergelder für diesen Staat aufgewendet werden. Da Thoreau keine Steuern gezahlt hat, ist er über Nacht ins Gefängnis gekommen, so lange, bis jemand anderer dann die Steuern für ihn bezahlt hat. Dieses Erlebnis hat Thoreau inspiriert, seine politischen Überzeugungen in eben diesem Essay zusammen­zufas­sen – und dieser ist später eingeflossen in die Überlegungen von Mahatma Gandhi, ebenso in die der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung.

Ich möchte jetzt zum Schluss doch noch ein Zitat bringen, obwohl heute offenbar Zitate nicht sehr beliebt sind, und zwar ein Zitat aus diesem Buch, das ich Herrn Innen­minister Platter gerne geschenkt hätte:

„Man sollte nicht den Respekt vor dem Gesetz pflegen, sondern vor der Gerechtigkeit.“ (Beifall bei den Grünen.)

15.36


Vizepräsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Florianschütz. – Bitte.

 


15.36.21

Bundesrat Peter Florianschütz (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was mich heute mit meinem Fraktionsvorsitzenden sehr eint, ist die Nachdenklichkeit ob der gestrigen und heutigen Debatte. Ich kann nachvollziehen, dass es sich dabei um ein emotionelles Thema handelt, aber: Die Art und Weise, wie dieses Thema hier abgehandelt wird beziehungsweise auch gestern im Nationalrat abgehandelt wurde, erstaunt mich – und verunsichert mich auch in Bezug auf die Frage der Einschätzung der politischen Kultur in diesem Hause.

Kollege Schennach, ich gebe zu, es ist listreich, darauf hinzuweisen, dass sechs Landtage einen Beschluss betreffend Bleiberecht gefasst haben – und dann zu argumentieren, dass eigentlich die von diesen Landtagen entsendeten Menschen ja


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