BundesratStenographisches Protokoll751. Sitzung / Seite 228

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Schwächen hat, unterstützt. Das ist, bitte, kein Organisationsprinzip, das ist ein grund­pädagogisches Prinzip! Individualisierung kann nur so vor sich gehen.

Nächster Punkt: Wenn ich uns alle hier ernst nehme und die Entwicklungspsychologie auch ernst nehme, dann muss ich einfach feststellen, dass ein Neunjähriger oder eine Neunjährige noch nicht in dem Sinn erkennt, auch deren Eltern nicht, wo die Talente, die Fähigkeiten und so weiter liegen. Und da habe ich es als einen tollen Vorstoß empfunden, was in Niederösterreich Erwin Pröll, was auch Sepp Pühringer zumindest angedacht haben, nämlich zu sagen, dass eine Entscheidung erst nach zumindest sechs Jahren, also mit zwölf oder 13 Jahren, zielführender wäre.

Das Problem daran ist nur, dass es jetzt in unserem Schulsystem da keine Anschlüsse gibt. Was machen die Kinder, die sechs Jahre in einer Schule waren und sind? Wie gehen die dann damit um? – Das betrifft genau das, Frau Mühlwerth, was Sie gesagt haben. Es geht nicht darum, dass alle zur Matura kommen müssen. Um Gottes Willen, nein! Genau das meine ich nicht, und ich denke, viele andere hier auch nicht. Es geht darum, dass wir genau bis zum 15. Lebensjahr eine gemeinsame Schule haben. Bis dahin entwickelt sich auch, welchen Weg man gehen wird.

Sie haben die Wirtschaft angesprochen. Gerade aus den Wirtschaftskammern, aus der Industriellenvereinigung höre ich genau dieses Argument. Sie sagen, dass es, wenn praktisch mit 15 differenziert wird, auch äußerlich differenziert wird, dann auch für die Wirtschaft einen Vorteil hat. Es gibt viele, die in Lehrberufe einsteigen, weil es Lehre mit Matura bereits gibt. Das heißt, auch dieser Weg ist nicht verbaut. Wir haben aber dazwischen, bei den Zehn-, Vierzehn- und Fünfzehnjährigen ein Problem. Darunter gibt es einen guten Lauf, den wir dann über dieser Altersstufe auch fortsetzen.

Finnland wird häufig zitiert. Bitte, die Finnen haben auch Probleme. Wo haben die sie? – Genau dort, wo wir das duale Bildungssystem haben. Gut, dass wir das haben! Das ist ganz wichtig. Das haben die dort nicht.

Auch das, was Sie zu den Schweden gesagt haben, stimmt natürlich. Auf der anderen Seite gehören die Schweden aber nach der PIRLS-Studie zu den besten Lesern. Es ist also schon so, dass man bestimmte Dinge klar und differenziert sieht. (Bundesrätin Mühlwerth: Das ist schon ein Unterschied!) – Ist schon okay.

Ich möchte nur in die Richtung argumentieren, dass es gar nicht darum geht, dass wir alle akademisieren möchten. Mir geht es darum, dass man Entwicklung, Persönlich­keitsentwicklung ernster nimmt und dass man Menschen, die meines Erachtens in ih­rem Leben zusammengehören, nicht trennt. Differenzieren ist ein ganz wichtiges päda­gogisches Grundprinzip und auch, wie ich noch immer sage, pädagogisches Konzept. Differenzieren kann ich nur, wenn ich sehe, wo die Stärken und Schwächen sind.

Es ist doch lächerlich, wenn ich auf der einen Seite entwicklungspsychologisch argu­mentierend sage, ich kann das gar nicht feststellen, auf der anderen Seite aber be­haupte, zu differenzieren, ob jetzt äußerlich oder im Inneren. Dann muss ich ganz ehr­lich fragen: Warum differenzieren wir nicht bereits die Sechsjährigen äußerlich, wenn wir es dann mit den Neun-, Zehnjährigen machen?

Aus der Geschichte der Pädagogik wissen wir ganz genau, dass letztlich auch nur die Ökonomie dafür verantwortlich war, dass es nur eine vierklassige Volksschule gibt. Vor zwei-, dreihundert Jahren hat man gesagt: Mehr Geld haben wir nicht für die Volks­schule. Auch die Hauptschule ist nach dem Zweiten Weltkrieg in dieser Form erst ent­standen. Da gab es auch andere Entwicklungsfelder. Das möchte ich hier aber nicht weiter ausbreiten, weil meine Redezeit eigentlich schon überschritten ist.

Ich glaube, wir müssen weg vom Selektieren und hin zum Differenzieren. Ich meine, wir setzen hier heute einen ersten wichtigen Schritt. Ich betone: einen ersten wichtigen


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