BundesratStenographisches Protokoll753. Sitzung / Seite 159

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und weil auch bekannt ist, dass er sich mit der Frau Nationalratspräsidentin und dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes beraten hatte, kann man diese Fragen sachlich erörtern, ohne daraus ungebührliche Kritik am Staatsoberhaupt abzuleiten.

Was genau das verfassungsmäßige Zustandekommen von Bundesgesetzen sei, das nach Artikel 47 Abs. 1 B-VG vom Herrn Bundespräsidenten zu beurkunden ist, wird in der Rechtswissenschaft seit jeher unterschiedlich beurteilt. Die eine Meinung bezieht das darauf, ob ein Gesetz auf die verfassungsmäßig vorgegebene Weise zustande kam: ob beispielsweise eine Verfassungsbestimmung tatsächlich mit Zweidrittel­mehrheit beschlossen wurde oder ob in bestimmten Fällen der Bundesrat nicht nur keinen Einspruch erhoben, sondern ausdrücklich zugestimmt hatte.

Die andere Meinung geht davon aus, dass man das verfassungsmäßige Zustande­kommen nicht getrennt davon sehen könne, welches die formalen Anforderungen an ein Gesetz seien. Wenn ein einfaches Bundesgesetz mit der Bundesverfassung in Widerspruch stehe, dürfe es naturgemäß nur im Rang eines Bundesverfas­sungs­gesetzes beschlossen werden, es sei somit nicht verfassungsmäßig zustande gekom­men und unterliege daher gerade in dieser Hinsicht notwendigerweise auch einer inhaltlichen Prüfungsbefugnis des Bundespräsidenten.

Das mag dort problemlos scheinen, wo – wie im vorliegenden Fall – die Verfas­sungswidrigkeit unbestreitbar ist. Das ist aber bekanntlich eher die Ausnahme. In den meisten Fällen ist die Verfassungswidrigkeit strittig und in letzter Instanz vom Verfas­sungsgerichtshof zu entscheiden, dessen Mitglieder wiederum nicht immer einer Meinung sind, sondern durchaus auch Mehrheitsentscheidungen treffen.

Wenn nun – hypothetisch – ein Bundespräsident einen Gesetzesbeschluss nicht beur­kundet, weil er ihn persönlich, womöglich abweichend von anderen Meinungen, für verfassungswidrig hält, dann setzt er sich letztlich an die Stelle des Verfassungs­gerichtshofes, dem die Beurteilung des Falles mangels Zustandekommens eines Ge­setzes in der Regel entzogen bliebe. Damit würde im Ergebnis ein Einfluss auf die Gesetzgebung entstehen, wie er für Präsidialrepubliken typisch ist und für Österreich eine gravierende Gewichtsverschiebung der Staatsorgane mit sich brächte. Solchen Änderungen ist der Herr Bundespräsident selbst immer aus guten Gründen und mit guten Argumenten entgegengetreten.

Zu bedenken ist auch, dass jede Befugnis eine Schwester hat, nämlich die Erwartung, sie im Anlassfall auch tatsächlich auszuüben. Das wird bereits in der Änderung der Gewerbeordnung sichtbar. Ich zitiere aus der „Wiener Zeitung“ vom 31. Jänner dieses Jahres: „Rechtsanwalt ortet in der Novelle einen Verstoß gegen die Erwerbsfreiheit“ – Zitatende.

Ich schiebe ein: Das bezieht sich auf eine Beschränkung der Versicherungsvermittlung durch Vermögensberater.

Die „Wiener Zeitung“ schreibt dann weiter: „Geht es nach Christian Winternitz,“ – das ist der erwähnte Rechtsanwalt – „sollte der Bundespräsident die Gewerbeordnung ein zweites Mal nicht unterschreiben.“

Wenn man sich vor Augen hält, dass beispielsweise Steuergesetze nicht nur im Span­nungsfeld des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes, sondern auch der Ideologie und der Tagespolitik stehen, dann wird deutlich, dass selbst ein dem widerstrebender Bundespräsident in eine politische Diskussion der tatsächlichen oder unterlassenen Parteinahme für einen bestimmten Standpunkt gezogen würde, die man unter den Rahmenbedingungen der Zweiten Republik wohl nicht wirklich wollen kann.

Ein weiteres Spannungsfeld ergäbe sich – immer hypothetisch – bei der Annahme eines inhaltlichen Prüfungsrechtes daraus, dass der Bundespräsident im Umkehr-


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