Auch bei Staaten, die heute bereits der Europäischen Union angehören, wissen wir, dass es in gar nicht so wenigen Fällen ein Defizit an Rechtssicherheit gibt, ein Defizit an Korruptionsbekämpfung gibt – und wir sollten uns nicht aus Freundschaft versagen, das auch auszusprechen. Das gehört zu einer guten Freundschaft, und die gute Freundschaft ist eigentlich die Voraussetzung dafür, dass man das tun kann und muss, jemanden sehr ernst am Ärmel zu nehmen und zu sagen: Das geht aber wirklich nicht, hier sind Maßnahmen zu treffen!
Ich erwarte mir – das muss ja nicht in der Zeitung stehen, dann ist es ja schon kontraproduktiv –, dass wir alle Kontaktmöglichkeiten in diesen Ländern dazu nützen, diese Mahnungen, Ermunterungen, oder was immer es technisch ist, auszusprechen. Das gilt in besonderem Maße, weil hier ja auch noch Kriterien erfüllt werden müssen, für jene Länder, die noch an der Schwelle zur EU stehen. Es hat gerade in den letzten Tagen wieder eine Reihe von Debatten gegeben, beispielsweise über die Rechtssicherheit in Kroatien, die österreichische Investoren betroffen hat.
Wir haben alle ein hohes Maß an Sympathie für diesen Staat, für dieses Volk, es kann aber überhaupt keine Frage sein, dass alle Restbestände früherer halbautoritärer Zustände ebenso überwunden werden müssen wie alle Überreste von Korruption und Rechtsunsicherheit. Und es ist gar keine Frage, dass wir unsere Stimme – noch einmal: außerhalb der Medien – hier zu erheben haben, um deutlich zu machen, wo wir stehen und wo wir erwarten, dass dieser Partner hinkommt, bevor er seinen Weg in die Europäische Union findet.
Das gilt mit anderen Schwerpunkten, aber in gleicher Weise auch für den Beitrittswerber Mazedonien, wo in gleicher Weise Defizite zu beklagen sind. Wir können gerne unsere Hilfe bei ihrer Beseitigung anbieten. Es gibt großartige Programme, an denen Österreich beteiligt ist oder die es initiiert hat, um die öffentliche Verwaltung effizienter zu machen, um die Ausbildung und Amtsausübung von Richtern und Verwaltungsbeamten zu verbessern. All das steht zur Verfügung, aber genutzt und umgesetzt muss es von den dortigen Partnern werden.
Wir haben – und das ist keine Frage – eine schwierige neue Situation gegenüber Serbien und dem unabhängig gewordenen Kosovo. Man kann eine solche Debatte nicht vorübergehen lassen, ohne ein paar Worte dazu zu sagen. Irgendjemand hat einmal den schönen Satz geprägt, dass der Balkan an einem Überfluss an Geschichte leidet. Das ist sicherlich richtig: Wenn jeder Stein, jede Stadt und jede Geschichte historische Reminiszenzen aus dem letzten Jahrtausend, die relativ lebendig sind, bei den Menschen wach werden lässt, dann ist es nicht so einfach, hier Lösungen zu finden, weil so viel Sentiment mit jeder Lösung und mit dem Gegenteil davon verbunden ist.
Es ist keine Frage, dass nach allem, was geschehen ist, der Kosovo einen Weg zur Selbständigkeit angestrebt hat und dass die internationale Gemeinschaft und die Europäische Union kaum eine andere Möglichkeit hatten, als diesen Weg zur Kenntnis zu nehmen. Ob die Form und das Tempo wirklich der Weisheit letzter Schluss waren, will ich einmal offen lassen, aber am Ende wäre in jedem Fall die Zurkenntnisnahme dieser Unabhängigkeitserklärung gestanden. Sie hat nur nicht dazu beigetragen, das Problem zu entkräften.
Es ist gar keine Frage, dass das Problem der serbisch bewohnten Enklaven faktisch ungelöst ist, sowohl konstitutionell – aber das ist das geringere Problem – als auch realpolitisch. Vor allem dort, wo es die direkte Landverbindung zu Serbien gibt, ist gar keine Frage, dass die serbischen Menschen dieses Gebietes wenig Lust haben, sich als Bürger eines multiethnischen Kosovo zu verstehen, dass für sie nicht nachzuvollziehen ist, dass sie nicht zu jenem Staat, dessen Sprache sie sprechen, dem sie sich zugehörig fühlen, auch staatsrechtlich gehören. Und die Auseinandersetzung um das
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