BundesratStenographisches Protokoll755. Sitzung / Seite 79

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Vizepräsident Jürgen Weiss: Zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Kerschbaum. – Bitte.

 


13.23.16

Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Frau Staatssekretärin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich sage ein nicht besonders euphorisches Ja zu diesem Reform-Ver­trag. Auch in meinen Augen ist er kein Meisterwerk. Ich habe einige Kritikpunkte gefun­den, wie zum Beispiel im demokratischen Bereich.

Einerseits ist verankert, dass es künftig ein BürgerInnenbegehren geben wird. Wunder­bar! Es werden auch die Rechte des Parlaments gestärkt. Aber nichtsdestotrotz, wenn 95 Prozent der europäischen Gesetze vom Parlament bestätigt werden müssen, blei­ben 5 Prozent über, die es nicht müssen. Das Parlament hat weiterhin kein Initiativ­recht. Ein europaweites Volksbegehren, also das BürgerInnenbegehren, wird in der Kommission zwar behandelt werden, aber mit welchem Ergebnis es behandelt wird, können wir nicht garantieren – und wird auch im Vertrag nicht geregelt werden können.

Zum Bereich des Umweltschutzes: Es ist erfreulich, das der Klimaschutz jetzt zu den Zielen gehört. Wie das mit dem freien Personen- und Warenverkehr zusammenspielen wird, wird sich weisen. Es gibt keine eindeutige Austrittsmöglichkeit aus dem EURATOM-Vertrag. Das wäre für mich ein wichtiges Ziel gewesen, steht aber leider nicht im Vertrag. Es gibt auch nicht wirklich ein Recht auf intakte Umwelt, das ich mir auch gewünscht hätte.

Auch im Bereich des Sozialen gibt es einiges, das ich vermisse. Es ist schön, dass die Grundrechtecharta anerkannt wird und dass Vollbeschäftigung und soziale Marktwirt­schaft als Ziele definiert sind. Im Prinzip sind diese Dinge aber doch eher Schlagworte und keine Mindeststandards. Die Einführung von Mindeststandards im sozialen Be­reich steht leider noch nicht dezidiert in diesem Vertrag.

Bei der Sicherheitspolitik wird der Frieden sehr oft als Ziel genannt. Das militärische Kerneuropa, auch wenn es nur auf freiwilliger Basis stattfinden kann, ist etwas, das ich mir nicht gewünscht hätte. Es ist etwas, das ich in diesem Vertrag lieber nicht verfasst gesehen hätte. Trotzdem: Wenn all die Kritikpunkte, die ich an diesem Vertrag ver­misse, in diesem Vertrag stünden, und Dinge, die ich in diesem Vertrag lieber nicht ver­fasst gesehen hätte, nicht darin stünden, könnte ich euphorisch zustimmen.

In diesem Fall fehlen diese Punkte. Das heißt aber auch, dass diese bis jetzt nicht in einem EU-Vertrag gestanden sind. Sie stehen jetzt nicht im Vertrag und es gibt keine Änderung. Wir könnten sie hineinreklamieren.

Der vorliegende Reformvertrag gibt der Kommission und dem Ministerrat – und mit dem Ministerrat auch der österreichischen Bundesregierung und dem europäischen Parlament – einen Rahmen vor. In diesem Rahmen kann sich die Europäische Union zu mehr Demokratie und zu mehr sozialem Engagement entwickeln. Das ist möglich, aber durch diesen Vertrag nicht garantiert.

Der Reformvertrag gibt der Bevölkerung die Möglichkeit, ihre Anliegen in diesem Bür­gerInnenbegehren an die Kommission vorzubringen, sich am politischen Geschehen verstärkt zu beteiligen. Damit ist aber nicht garantiert, dass das politische Interesse der Bevölkerung dadurch geweckt wird, und es ist auch nicht garantiert, dass die Interes­sen der Bevölkerung, die in einem solchen BürgerInnenbegehren vorgebracht werden, berücksichtigt werden. Die Kommission muss sich damit befassen, muss es aber nicht umsetzen. Das ist im Prinzip eine Sache, die auch bei einem österreichischen Volks­begehren leider nicht anders gehandhabt wird.

Jetzt hat die Bevölkerung die Möglichkeit, eine Volksabstimmung zu fordern. Das tut sie auch lautstark. Ich habe sehr, sehr viele Mails bekommen, wir alle haben sehr, sehr


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