All das sind blutige Erinnerungen, die auch eine Generation junger Menschen in unserem Lande und in Westeuropa in ihrer Einschätzung dieser Region Europas geprägt haben.
Es gibt aber auch andere Entwicklungen. Wenn wir heute das Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen mit Montenegro beschließen werden, so ist auch darauf zu verweisen, wie sich ein kleiner ehemaliger Bundesstaat Jugoslawiens in sehr konsequenter Art und Weise aus diesen Konflikten herausgehalten und es verstanden hat, sich gegenüber Milošević abzugrenzen und im eigenen Land ein hohes Maß an politischer Stabilität zu erreichen und dabei gleichzeitig das Zusammenleben von drei Bevölkerungsgruppen – eigentlich vier; auch wenn diese eine klein ist – zu bewerkstelligen.
Wir dürfen nicht vergessen, dass in Montenegro nicht nur Montenegriner leben – fast so viele Montenegriner leben übrigens auch in Serbien –, sondern dass es in Montenegro eine große Bevölkerungsgruppe gibt – ob man diese als „Serben“ bezeichnen soll und kann, weiß ich nicht so recht –, die sich jedenfalls Serbien verbunden fühlt. Vergessen dürfen wir auch nicht, dass es in Montenegro eine maßgebliche Gruppe von Albanern gibt – und dass in einem kleinen Teil des Landes, nämlich dem zu Montenegro gehörenden Teil des ehemaligen Sandžak auch eine bosniakische Bevölkerung lebt.
Es ist eine gewaltige Leistung in einer Region, in der die Zugehörigkeit zu einer Nationalität zugleich auch bedeutet hat, andere Nationalitäten zu bekämpfen, diese Völkerschaften in einem durchaus spannungsfreien Zusammenleben zu erhalten und daraus, auf diesen Konsens aufbauend, doch gewisse Fortschritte in der ökonomischen und politischen Entwicklung zu machen.
Gar keine Frage: Was das Funktionieren staatlicher Behörden anlangt, was die Justiz, was die Polizei anlangt: Eine Reihe von Themenbereichen könnte man herunterdeklinieren, in denen Montenegro – kein Wunder bei seiner Geschichte! – Nachholbedarf hat. Aber es ist ja die Aufgabe solcher Abkommen, Staaten, die sich in einem ökonomischen, rechtlichen beziehungsweise sozialen Rückstand befinden, vorzubereiten auf jene Standards, die es ihnen später einmal ermöglichen sollen, Mitglied der Europäischen Union zu werden.
Montenegro ist in den begrenzten Möglichkeiten dieser Region durchaus eine Erfolgsgeschichte; das ist anzuerkennen. Ich freue mich, dass Österreich unter den alten Mitgliedstaaten der Europäischen Union ganz offensichtlich das erste Land ist, das dieses Abkommen ratifiziert. (Ruf: Das zweite!) – Das zweite; okay. – Jedenfalls: Dieser Ratifizierungsprozess in anderen Mitgliedstaaten sollte durchaus etwas beschleunigt werden. Das ist aber auch eine Anerkennung für das Geleistete.
Albanien, das eine völlig andere Geschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte, das von den Konflikten rund um Jugoslawien nicht unmittelbar betroffen war, aber ein Land war, das gegen außen eine alle Kontakte abschottende Politik verfolgt hat, hat da zweifellos einen größeren Aufholbedarf: auch deshalb, weil es seit der Überwindung des dortigen stalinistischen Regimes mehrfach zu Zusammenbrüchen der Staatsgewalt gekommen ist, weil die politische Stabilität, die Montenegro auszeichnet, in Albanien bisher nicht erlangt werden konnte und weil es, ganz im Gegenteil, eine scharfe Konfrontation zwischen den zwei großen politischen Blöcken in diesem Land gibt.
Aber dennoch: Auch Albanien hat Fortschritte erreicht, und die Anerkennung dieser Fortschritte und der Versuch, bei weiteren Fortschritten zu helfen, ist auch Bestandteil dieses Abkommens.
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