BundesratStenographisches Protokoll759. Sitzung / Seite 25

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sprechen, würde bedeuten, die über 10 000 Menschen, die jetzt die Pflege angemeldet haben, für dumm zu verkaufen – entschuldigen Sie diesen harten Ausdruck hier im Bundesrat –, indem man ihnen sozusagen nahelegt, zu sagen: Gescheiter wäre es gewesen, ich hätte die Pflege nicht angemeldet, dann wäre die Amnestie-Regelung noch einmal verlängert worden!

Ich halte das für unzumutbar gegenüber jener großen Zahl von Österreichern und Österreicherinnen, die sich rechtstreu verhalten haben. Es muss aber niemand fürch­ten, dass jetzt eine „Aktion scharf“ eingeleitet wird, dass mit der Lupe oder gar mit kriminalpolizeilichen Mittel in Haushalten gefahndet wird. Alle Sozialversicherungs­träger haben mir versichert, dass das nicht der Fall ist. Es wird, so wie in allen anderen Bereichen auch, auf Anzeige hin vorgegangen werden müssen, aber auch da lautet der Appell von allen Ministern, mit Augenmaß und unter Beachtung von sozialen Här­ten entsprechende Entscheidungen zu treffen. (Beifall bei der SPÖ.)

 


Präsident Jürgen Weiss: Eine Zusatzfrage? – Bitte, Herr Bundesrat Schennach.

 


Bundesrat Stefan Schennach (ohne Fraktionszugehörigkeit, Wien): Herr Bundes­minister! Seit einigen Wochen – und demographische Zahlen deuten an, dass der Pflegebedarf wachsen wird, auch aufgrund der Veränderung der Gesellschaft – gibt es die Diskussion, eine Pflegeversicherung einzuführen. Was halten Sie davon, was ist Ihre Position dazu?

 


Präsident Jürgen Weiss: Herr Bundesminister, bitte.

 


Bundesminister für Soziales und Konsumentenschutz Dr. Erwin Buchinger: Ich stehe einer Pflegeversicherung skeptisch gegenüber und habe das auch wiederholt in Diskussionen geäußert. Ich bekenne mich uneingeschränkt zur Notwendigkeit, die Pflegevorsorge finanziell auf eine neue Grundlage zu stellen. Es ist vor allem für die Länder und Gemeinden unter Einsatz aller Kräfte jetzt noch möglich, die aus der demo­graphischen Entwicklung resultierenden Erhöhungen der Pflegekosten zu finanzieren. Aber wenn wir diese demographische Entwicklung für die nächsten zwanzig Jahre fortschreiben – und das ist wissenschaftlich durch das Wifo gemacht worden; es gab auch diesbezügliche Untersuchungen, deren Ergebnisse veröffentlicht worden sind –, dann ist es eindeutig, dass diese Last den Ländern und Gemeinden bereits in fünf oder in zehn Jahren nicht mehr aufgeladen werden kann, dann ist das von ihnen nicht mehr zu bewältigen.

Um nur eine Zahl zu nennen: Die Berechnungen des Wifo ergeben, dass bis zum Jahr 2030 die Pflegegeldleistung ohne Valorisierung allein aufgrund des demo­graphi­schen Effektes um knapp 50 Prozent höher wird ausfallen. Im Bereich der Sachleis­tungen der Länder, nämlich stationäre Pflege, mobile Pflege, die in den meisten Ländern durch Gemeinden co-finanziert wird, sind es 50 Prozent, 40 Prozent, 60 Pro­zent. Es wird die Erhöhung aber etwa 250 Prozent betragen. Und wenn man weiß, dass die jetzige Summe, die von allen Gebietskörperschaften aufgebracht wird, knapp 3,2 Milliarden € ausmacht, und wenn man da mehr als eine Verdoppelung annimmt, wird klar, dass das mit den bestehenden Finanzierungsinstrumenten nicht mehr mög­lich sein wird.

Zum Zweiten gibt es aus Sicht der betroffenen Personen eine Problematik, warum im Bereich der Langzeitpflege und -betreuung die Grundsätze der Sozialhilfe gelten – daraus folgt die Finanzierung der Länder und Gemeinden –, während das bei längeren Krankheiten beispielsweise nicht der Fall ist. Auch da gibt es Pro- und Kontra-Argumente, die man aber dann sozusagen leichter auflösen kann – und das ist nach meiner Überzeugung auch gerechter –, wenn man die Pflegevorsorge aus dem System der Sozialhilfe herausnimmt.

 


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