BundesratStenographisches Protokoll786. Sitzung / Seite 79

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USA durchgesetzt und man sich darauf geeinigt hat, bis 2013 die Defizite zu halbieren, dann wird der Grundtenor schon deutlicher und ich verstehe mehr und mehr, was mit dieser Ausstiegsstrategie gemeint ist.

Wenn dann die südeuropäischen EU-Staaten wie Portugal und Spanien versuchen, mit milliardenschweren Sparpaketen Defizite abzubauen, gewinnt man den Eindruck, dass in Europa der Sparwahn und ein Wettbewerb der Staaten untereinander ausgebrochen ist, welcher Staat in kürzerer Zeit mehr Milliarden einsparen kann. Da frage ich mich wohl mit Recht, was das alles noch mit Wirtschaftswachstum und hoher Beschäftigung zu tun hat. (Bundesrat Dr. Kühnel: Alles auf einmal geht eben nicht! Wir haben eben kein Geld mehr dafür!)

Dass man sich beim G20-Gipfel nicht zu einer Bankenabgabe durchringen konnte und die Regulierung der Finanzmärkte wieder einmal aufgeschoben wurde, sich also an­scheinend wieder die Lobby der Finanzwirtschaft durchgesetzt hat, steht zunächst ein­mal auf einem anderen Blatt. Es ist aber dennoch erwähnenswert, denn ich finde, dass damit der Keim für die nächste Krise gelegt wurde. Und dass Europa nun versucht, im Alleingang eine Finanztransaktionssteuer einzuführen, ist auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Dass bei diesem G20-Gipfel sogar US-Präsident Barack Obama noch ver­sucht hat, Europa zur Vernunft zu bringen, indem er vor diesem geplanten, bevorste­henden Kahlschlag gewarnt und für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Sparen und Wachstumsförderung plädiert hat, spricht ganze Bände.

Bei Sparpaketen, wie sie vor Kurzem in Portugal und Spanien geschnürt wurden, werte Kolleginnen und Kollegen, wird jedenfalls das Wirtschaftswachstum auf der Strecke blei­ben und die Beschäftigung zurückgehen. Wir wissen heute, dass wir, um Arbeitslosen­zahlen zu reduzieren, ein Wirtschaftswachstum von mindestens 3 Prozent brauchen. Reine Sparpolitik führt nur zu einer Rücknahme der öffentlichen und privaten Inves­titionen und verhindert gerade Wachstum und Beschäftigung.

Die Europäische Union hat sich in den letzten zehn Jahren mit der Lissabon-Strategie das Ziel gesetzt, zum wettbewerbsfähigsten, dynamischsten wissensbasierten Wirt­schaftsraum der Welt zu werden, mehr und bessere Arbeitsplätze zu schaffen und ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum zu garantieren.

Angestrebte Ziele waren ja bis 2010 ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von real 3 Prozent und eine Beschäftigungsquote von 70 Prozent der Bevölkerung. Beide Ziele wurden verfehlt. Zwar hat man, was die Beschäftigungsquote betrifft, mehr Er­werbstätigkeit geschaffen, doch muss gesagt werden, dass die Qualität der Arbeitsbe­dingungen gesunken ist und die Arbeitsverhältnisse zunehmend prekär werden.

Natürlich stehen wir zu diesen Zielen der Lissabon-Strategie und werden diesen Bericht zur Kenntnis nehmen. Meines Erachtens bestand bei der Bekämpfung der Arbeitslosig­keit allerdings immer das Problem, dass man geglaubt hat, man könnte die Arbeitslo­sigkeit lediglich durch Reformen auf dem Arbeitsmarkt eindämmen.

Dabei werden die besten Umschulungen und Ausbildungen nicht ausreichen, wenn es zu wenige Arbeitsplätze gibt! Daher darf sich eine erfolgreiche Beschäftigungsstrategie nicht nur auf Strukturreformen beschränken, sondern muss Teil einer allgemeinen Wirt­schaftspolitik sein.

Beschäftigung kann daher nur durch Investitionen geschaffen werden. Damit sind wir schon bei der Hauptursache für das niedrige Wirtschaftswachstum in Europa angelangt, nämlich dem Fehlen an Investitionen und Innovationen.

Die besten Zielvorhaben werden auch in Zukunft fehlschlagen, wenn nicht die entspre­chenden wirtschaftlichen Maßnahmen gesetzt werden. Bei der Frage des Wachstums geht es insgesamt um eine gerechte Verteilung, werte Kolleginnen und Kollegen.

 


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