BundesratStenographisches Protokoll822. Sitzung / Seite 65

HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite

intendiert ist. Eine Abschaffung und ein Aufteilen auf die anderen Paragraphen wäre da meiner Meinung nach sinnvoll gewesen, damit diese Gerichtspraxis ein für alle Mal abgestellt wird.

Leider muss ich jetzt eine doch scharfe Kritik in Ihre Richtung, Frau Bundesministerin, äußern: Wir haben bisher immer Anfragen gestellt, wie die Gerichtspraxis zum § 207b aktuell aussieht, weil das ja einfach diese Tradition hatte. Die letzte Anfrage, die ich diesbezüglich gestellt habe, haben Sie nicht mehr beantwortet mit dem Hinweis, Sie können das nicht beantworten, weil das den gesamten Betrieb lahmlegen würde. Also ich verstehe nicht, warum diese Anfrage, die jahrelang beantwortet worden ist, jetzt nicht mehr beantwortet werden kann, weil es ja auch ganz wichtig ist, sowohl für die Politik als auch für die Gerichtspraxis, dass man einfach feststellt: Wie schaut die Praxis aus? Gibt es da Diskriminierungen? Und kann man daraus politisch etwas lernen und diesen Paragraphen auch anders formulieren?

Was wir auch bedauern oder worüber wir zumindest nachdenken müssen – vielleicht sollte ich es so formulieren –, ist natürlich nach wie vor die Verhältnismäßigkeit von allen Strafen, die im gesamten Strafgesetzbuch zu finden sind. Hiezu gibt es ja eine Exper­tInnenkommission. Das finden wir sehr gut, weil sich diese ExpertIn­nenkom­mission alle Straftatbestände anschaut und so über die Verhältnismäßigkeit urteilen kann. – Ich traue mich jetzt nicht hier als Politiker am Rednerpult die Verhältnis­mäßigkeit von Strafen zu beurteilen. Umso wichtiger ist es, dass eine ExpertInnenkom­mission sich das anschaut.

Nur: Wenn man sich viele Straftatbestandspunkte anschaut, mit welchen Strafen diese vollzogen werden, dass zum Beispiel, wenn ein Mann eine Frau schlägt und ein Knochenbruch passiert, das mit weniger Strafe bedroht ist als ein sexueller Miss­brauch – ich will das jetzt nicht beurteilen und ich möchte jetzt nicht sagen, was als schwerer zu beurteilen ist –, dann besteht da so ein frappanter Unterschied, dass wir hier eindeutig noch nicht am Ende angelangt sind, sondern auf jeden Fall, wahr­scheinlich auch bei diesem Paragraphen, dann nach Abschluss der Arbeiten dieser ExpertInnenkommission noch nachschärfen, verändern oder zumindest die Relationen geradebiegen müssen.

Lassen Sie mich aber am Ende auch noch einen Appell an alle richten. Wir wissen ja aus Untersuchungen, dass von allen Straftaten und Sexualstraftaten nur 10 Prozent überhaupt vor Gericht behandelt werden und dass 90 Prozent der Straftaten nie vor Gericht landen, weil Menschen sich nicht trauen, Anklage zu erheben, weil Menschen sich nicht trauen, sich zu wehren, weil es Abhängigkeitsverhältnisse gibt, weil es Autoritätsverhältnisse gibt, weil es teilweise – das ist gerade bei Menschenhandel oft ein Problem – Angst hinsichtlich des Aufenthaltsstatus und der Arbeitserlaubnis gibt, vor allem wenn es sich um Angehörige von Drittstaaten handelt.

90 Prozent, die nicht vor Gericht gehen. Das heißt, man kann das Sexualstrafrecht wahrscheinlich noch so oft novellieren und noch so intensiv novellieren, es nützt nichts, wenn man nicht vor allem Frauen, aber im Grunde natürlich alle Menschen, die in diesem Land leben und sich hier aufhalten, darin bestärkt, aber ihnen auch hilft, dass sie solche Straftatbestände auch tatsächlich anzeigen, zur Anzeige bringen, und ihnen sozusagen das Rüstzeug dafür gibt, sich wehren zu können. Das muss in den Schulen beginnen, das muss in den Universitäten beginnen, das muss überall stattfinden, wo es nur möglich ist.

Und am Ende sei auch gesagt – es ist natürlich auch immer historisch interessant, sich das anzuschauen, weil das Sexualstrafrecht natürlich auch immer etwas über die Moralvorstellungen der Zeit erzählt –: Die größte Sexualstrafrechtsreform haben wir eindeutig Christian Broda in den frühen siebziger Jahren zu verdanken, und wir müs-


HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite