BundesratStenographisches Protokoll838. Sitzung / Seite 29

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Diese Verhaltensänderung hat viele Ursachen, es ist nicht nur eine Modeerscheinung und nicht nur ein österreichisches Phänomen. Wenn die Abwanderung vom Land in die Städte im Ausmaß der letzten Jahre anhält, so wird sich der Anteil der in den Städten wohnenden Bevölkerung in 20 Jahren umdrehen. Es werden also 60 Prozent in den Städten wohnen und nur mehr 40 Prozent im ländlichen Raum. Dieser Trend ist in al­len größeren Städten weltweit zu beobachten.

Die Ursache dieser Entwicklung ist auch weltweit fast die gleiche. Das Einkommen in den Städten liegt im Durchschnitt um 20 Prozent höher als das auf dem Lande. Die Ein­kommensstatistik bestätigt diese Unterschiede bereits über Jahrzehnte. Bei den Frau­en ist der Unterschied noch wesentlich größer.

Die Chancen auf eine gute Ausbildung und damit die Aussicht auf ein höheres Ein­kommen sind in den Städten wesentlich besser. Der Akademikeranteil ist in den Städ­ten fast zehnmal höher als auf dem Lande. Kulturelle Angebote in den Städten sind mit jenen im ländlichen Raum nicht zu vergleichen, und jene im städtischen Bereich wer­den zum größten Teil aus Steuergeldern finanziert. (Vizepräsidentin Posch-Gruska über­nimmt den Vorsitz.)

Beim öffentlichen Verkehr gibt es riesige Unterschiede zwischen den Städten und den ländlichen Gemeinden. In kleinen Gemeinden sind öffentliche Verkehrsmittel fast nicht vorhanden, oder der Fahrplan ist aus finanziellen oder aus Auslastungsgründen äu­ßerst dünn.

Der Drang nach einer besseren Ausbildung hat auch auf dem Land Einzug gehalten, allerdings kehren die jungen Ausgebildeten nicht mehr in die Heimat zurück. Zum ei­nen haben diese die bereits erwähnten Vorteile einer Stadt, die besseren Angebote bei Kultur, Bildung und öffentlichem Verkehr erkannt. Zum anderen schätzen viele junge Menschen auch die Anonymität in einer großen Stadt. Viele junge Menschen haben dadurch weniger Kontrolle durch die Eltern, weniger Einfluss durch die Verwandten und die Unabhängigkeit von Bekannten und Freunden. Nur selten gibt es auf dem Land der Ausbildung entsprechende Jobangebote, da die gut dotierten Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst, in der Forschung und Entwicklung sowie in der höheren Dienstlei­tung und Verwaltung meistens in den Zentren zu finden sind.

Diese Entwicklung wird durch die Auflösung von Post- und Polizeistellen, von Kaser­nen und Schulen verstärkt. Die Tiroler schimpfen auf die Wiener Zentralisten, obwohl die Zentralisierung in unserem Bundesland, sehr wahrscheinlich in allen Bundeslän­dern, ebenfalls vollzogen wird.

Die Bezirksstädte tragen zur Zentralisierung bei, indem die Nahversorgung und die ärzt­liche Versorgung nur mehr in großen Einheiten und Zentren zusammengefasst werden. Lebensmittelgeschäfte auf dem Land sperren zu, Landarztpraxen sind nur schwer nach­zubesetzen. In Gemeinden mit mehreren Fraktionen und Ortsteilen wird durch die Schließung von Kleinschulen ebenfalls zentralisiert. Schulen und Kindergärten werden zusammengelegt. Deshalb merkt man auch die Abwanderung innerhalb der Gemein­den von den kleinen Fraktionen in die Ortszentren, von den kleinen Gemeinden in die Bezirksstädte, von den Bezirken in die Landeshauptstädte, von den Bundesländern in die Bundeshauptstadt.

Interessanterweise findet auch eine Abwanderung von den Seitentälern in die mit Auto­bahnen und Bahnen besonders gut erschlossenen Orte statt. Eine Studie über Abwan­derung in Südtirol ergab das gleiche Ergebnis. Damit scheint der Spruch unseres Alt­landeshauptmannes Wallnöfer aus den 1960er Jahren: Wo Verkehr ist, da ist Leben!, bestätigt zu sein. (Zwischenruf bei der ÖVP.)

Die Schönheit der Natur im ländlichen Raum ist nicht mehr in der Lage, diese Nachteile auszugleichen, man kann ja ohnehin am Wochenende hinaus aufs Land fahren. Die


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