Lassen Sie mich jetzt ein Bild zeichnen, wie sich Europa mir präsentiert – und ich sage noch einmal: das politische Europa, nicht das geographische –: Für mich ist dieses Europa wie ein Flugzeugträger, natürlich nicht im militärischen Sinn, ganz und gar nicht, aber in seiner Größe, in seiner Länge, in seiner Breite, in seiner Höhe und auch in der Weise, wie dieses Europa in den vergangenen nicht ganz 70 Jahren ein weites Stück der Weltmeere durchpflügt hat.
Kursänderungen, meine Damen und Herren, sind freilich – wie wir immer wieder sehen – eine schwierige Angelegenheit. Fast ständig stehen nämlich am Kommandostand drei Kapitäne: einer von der Kommission, einer vom Rat und einer vom Parlament. Und oft diskutieren sie, in welche Richtung es jetzt gehen soll, oder sie blockieren das Steuerrad, weil jeder herumdrehen will, natürlich nicht simultan. Auf dem Deck – so sehe ich es – stehen 28 Flugzeuge. Sie sind unterschiedlich alt, und es gibt unterschiedliche Modelle: Wenn sie abheben, dann fliegen sie sehr oft auch in unterschiedliche Richtungen.
Am Ende des Tages, meine Damen und Herren Bundesräte – und darin sind sie sich wieder einig –, kommen sie alle auf dieses Deck zurück, weil sie darin eine gemeinsame Heimat sehen. Das ist Europa im Guten wie im Schlechten, so wie ich es derzeit sehe.
Dieses Europa hat sich im ersten Jahr meiner Tätigkeit im Europäischen Parlament mit vielen schwierigen Themen auseinandergesetzt. Othmar Karas hat schon ein paar davon angesprochen. Die hohe Arbeitslosigkeit vor allem unter den jungen Menschen in vielen Mitgliedstaaten, das anämische Wachstum, die ungelöste Flüchtlingsfrage, die Frage, wie man den Konflikt um die Ukraine lösen kann, und dann in den letzten Tagen ganz akut das Problem Griechenland.
Lassen Sie mich ganz kurz ein paar Worte zu den einzelnen Problemen sagen. – Bei Griechenland geht es meiner Ansicht nach um einen Drahtseilakt. Die traditionellen Parteien in Europa gönnen Syriza und dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras keinen Erfolg. Schließlich ist eine Partei an der Macht, die es geschafft hat, die Parteien, die eng mit den europäischen Partnern verbunden sind, aus dem Amt zu jagen.
Wenn man sich die wesentlichen Akteure in diesem Konflikt ansieht, dann könnte Europa ein Nord-Süd-Kulturkonflikt drohen, in dem sozusagen der germanische Norden gegen den lateinischen Süden kämpft. Davor hat übrigens der italienische Philosoph Giorgio Agamben bereits vor zwei Jahren gewarnt. Das wäre eine ziemlich pessimistische Analyse.
Eine zweite stimmt mich etwas positiver, vielleicht auch, weil sie von mir kommt. Ich glaube nicht, dass die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in die Geschichte als jene Regierungschefin eingehen will, die das Auseinanderbrechen Europas eingeleitet oder zumindest zugelassen hat. Ich glaube also – anders ausgedrückt –, dass ein Kompromiss immer noch möglich und auch notwendig ist.
Was die Flüchtlingsproblematik betrifft, so gibt es keine kurzfristige Regelung. Ein solidarisches Europa, in dem Flüchtlinge nach einer Quotenregelung aufgeteilt werden, ist dringend notwendig, aber das lässt noch auf sich warten, weil einige Staaten nicht nachgeben wollen. Genau so dringend wie dieser Aufteilungsschlüssel, meine Damen und Herren, sind aber auch längerfristig wirkende Schritte; dabei spreche ich ganz besonders Herrn Bundesminister Kurz an.
Europa muss sich endlich diplomatisch und politisch stärker einbringen. Ich nenne das eine robuste und selbstbewusste europäische Außenpolitik. Ich habe das auch schon in meiner allerersten Rede im Europäischen Parlament über die Außenpolitik betont.
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