BundesratStenographisches Protokoll846. Sitzung / Seite 152

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SPÖ.) – Es wird gerade die „Kronen Zeitung“ an den SPÖ-Klub verteilt. Wie passend! (Allgemeine Heiterkeit.)

Ich habe also gestern in „The Guardian“ einen Artikel gelesen. (Zwischenruf des Bun­desrates Beer.) Sie wissen gar nicht, worüber ich jetzt reden will, Herr Kollege Beer. In dem Bericht ging es um den Bürgerkrieg im Südsudan. Es ist unglaublich, was dort passiert, und das wird hier in keinem Medium erwähnt. Dort gibt es über eine Million Binnenflüchtlinge, und die werden zum Teil zum Kannibalismus gezwungen und solche Sachen. Es ist unfassbar, was dort gerade passiert. Diesen Bericht zu lesen, ist wirklich Horror. Da kann Hollywood einpacken. Diese Menschen haben sich noch nicht auf den Weg gemacht.

Im Jemen herrscht ein Krieg. Die Saudis bombardieren gerade das Weltkulturerbe kaputt. Dort gibt es mittlerweile auch Tausende und Abertausende, die nicht mehr wissen, wohin sie gehen sollen, die keine Perspektive mehr sehen und die im Krieg leben; und wir müssen darauf gefasst sein, aber – und das unterscheidet uns wahr-scheinlich dramatisch von der Freiheitlichen Partei – wir packen an, wenn Menschen Hilfe brauchen.

Sie sind da, sie stehen hier, sie kommen hier rein, sie wollen nach Deutschland. Natürlich kann man die Grenzen dichtmachen, man kann große, hohe Mauern bauen, und sie werden trotzdem kommen, sie werden nur auf anderen Wegen kommen. Dann sind wir wieder dort, wo niemand sein will. Ich glaube, nicht einmal dann, wenn die Freiheitlichen in der Regierung wären, würden Sie das aushalten, wenn noch mehr Kühltransporter auf der Autobahn stehen mit unzähligen Leichen drinnen, wenn noch mehrere Tausend und Abertausende Menschen im Mittelmeer sterben, weil wir eine Festung bauen, wie es leider auch unsere Innenministerin sagt.

Das ist übrigens Jargon aus der Nazizeit. Da würde ich vonseiten der ÖVP auch ein bisschen vorsichtig sein. „Festung Europa“ ist ein Begriff, der in der Nazizeit entstan-den ist.

Wenn wir das wollen, nämlich Zäune, Mauern bauen, dichtmachen, dann sind wir wirklich dort, Herr Kollege Jenewein, wo Orban ist, dann sind wir beim Tränengas auf Flüchtlinge, dann sind wir bei der Bewaffnung des Militärs, dann sind wir bei der Traumatisierung von Traumatisierten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand, irgendeine politische Kraft das will. Wenn Sie das wollen, dann haben wir Bilder, die wirklich kein Mensch haben will. Der Unterschied ist, dass das Rote Kreuz, der Samariterbund, unzählige Freiwillige – unzählige Freiwillige! –, die Polizei, das Bun-desheer und so weiter anpacken, weil Menschen Hilfe brauchen, und nicht herum­matschkern wie die Freiheitliche Partei. Das ist der große Unterschied. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

Herr Kollege Jenewein, Sie haben zu Recht gesagt, dass dieser Holocaust-Vergleich von Herrn Faymann gegenüber Orbán falsch war. Ich stimme dem zu. Ich halte auch nichts von solchen Vergleichen. Das war ein singuläres historisches Ereignis, das man nicht vergleichen sollte; aber das, was ich schon glaube, ist, dass man aus Geschichte lernen kann, um es in der Zukunft anders zu machen.

Wie relativ manches ist, nämlich dann, wenn man rückwärts schaut, das möchte ich an einem Beispiel festmachen, nämlich an dem Beispiel des amerikanischen Journalisten Varian Fry. Varian Fry lebte Mitte der dreißiger Jahre in Berlin, und zwar erlebte er die ersten Pogrome gegen Juden. Später war er für die amerikanische Hilfsorganisation Emergency Rescue Committee in Marseille. Er war dort auch 1938 und 1939 und 1940 und 1941, und so weiter. Und was hat Fry gemacht? – Er hat Pässe gefälscht. Er war ein illegaler Fluchthelfer. Er hat rund 2 000 Juden zur Flucht verholfen; darunter waren Marc Chagall, Hannah Arendt, Franz Werfel, Lion Feuchtwanger und Heinrich Mann.


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