BundesratStenographisches Protokoll847. Sitzung / Seite 12

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Wenn wir, die Europäische Union, Griechenland ein Sparpaket aufgezwungen haben, das dazu geführt hat, dass ein Drittel aller Beamten und Beamtinnen entlassen wurde, und man die Griechen mit dem erhobenen Finger darauf hinweist: Ihr erfüllt eure Pflichten nicht!, dann sieht man, dass auch da Fehler gemacht wurden.

Ja, wir müssen unsere Grenzen schützen. Europa hat das Recht, zu wissen, wer kommt, aber Europa muss ein sicherer Ort für Flüchtlinge sein, denn auch Europa hat in der Vergangenheit – mein Vorredner hat das schon angesprochen – Millionen von Flücht­lingen erzeugt. Wenn man bedenkt, dass allein Deutschland im Zweiten Weltkrieg 13 Mil­lionen Menschen zur Flucht gezwungen hat, 12 Millionen Binnenflüchtlinge innerhalb Deutschlands, sogenannte internally displaced persons, „erzeugt“ hat, so ist es umso mehr eine schöne Korrektur der Geschichte, dass Deutschland derzeit ein sicherer Platz für die Flüchtlinge ist.

Wenn man heute am Anfang die Worte unseres Präsidenten gehört hat – wir sind alle noch immer tief betroffen von diesem Terroranschlag in Paris –, dann muss man auch einmal ganz offen sagen: Die allerersten Opfer sind die, die gestorben sind. Aber die zweiten Opfer sind alle friedliebenden Muslime, die in Europa leben, die jetzt unter einen Generalverdacht gestellt werden. Äußerungen, wie sie die Republikaner in den USA tätigen, oder Äußerungen, wie sie zum Beispiel von der polnischen Regierung kom­men, dass ein Generalverdacht gegen Kindergärten ausgesprochen wird und anderes, das ist unerträglich und inakzeptabel. Immer wieder in der Geschichte wurde nach Sündenböcken gesucht. Da müssen wir jetzt ganz klar zu unseren friedliebenden mus­limischen Mitbürgern und Mitbürgerinnen stehen, damit nicht auch in Schulen zum Bei­spiel ein Mobbing erfolgt.

Mein Vorredner hat auch der Zivilgesellschaft gedankt. Ich möchte sagen, die Zivilge­sellschaft und die NGOs haben nicht nur Unfassbares geleistet, was die Republik nicht hätte leisten können, sie haben uns geholfen, der Republik, das Recht zu wahren, näm­lich das Recht auf Menschenrecht, das Recht auf Flüchtlingsrecht und das Recht auf Asyl. Ohne die Zivilgesellschaft, ohne die NGOs hätten wir das nicht bewältigt.

Wir hatten gestern eine lange Befassung mit dem EU-Rechnungshof. Wenn wir uns das Budget der Europäischen Union anschauen, so sehen wir, es sind für das Asylwe­sen genau 0,5 Prozent im Budget vorgesehen – 0,5 Prozent. Wenn nun jener von den Regierungschefs angesprochene Treuhandfonds kommt, dann sind es vielleicht 0,6 Pro­zent, 0,7 Prozent oder 0,8 Prozent.

Die Flüchtlingsbewegung nach Europa wird nächstes Jahr weitergehen. Wir sollen da ganz offen und ehrlich sein, es soll niemandem Sand in die Augen gestreut werden, denn bis es zum Frieden vor Ort kommt, wird es noch dauern, bis es zum Wiederaufbau vor Ort kommt, wird es noch dauern. Wir werden die Budgetmittel auf europäischer Ebene erhöhen müssen, und wir müssen auch alle Fragen der Integration vertiefen.

Die Flüchtlinge, die heute kommen, suchen nicht unbedingt dauerhaften Aufenthalt hier, sie wollen gar nicht unbedingt nach Europa. Deshalb werden wir auch mit der Türkei klare Worte finden müssen. Dieser Status als Gast ist kein Flüchtlingsstatus. Man hat monatelang oder vielleicht noch länger der europäischen Diskussion und der interna­tionalen Diskussion hier ein wenig Sand in die Augen gestreut. Ein Flüchtlingsstatus ist ein Rechtsstatus. Als Gast bin ich nur Gast, und Gäste gehen irgendwann auch wieder einmal nach Hause. Und ich kann Ihnen sagen, ich kenne die Flüchtlingslage in Jor­danien, ich kenne sie in der Türkei, und ich kenne auch jene, die man Vertretern der Europäischen Kommission nicht zeigt: Das ist keine Situation für Flüchtlinge, in der sie integriert werden können! Deshalb wird man hier mit der Türkei wirklich klare Worte sprechen müssen, dass sie entsprechend der Flüchtlingskonvention Flüchtlinge auch als Flüchtlinge mit all ihren Rechten anzuerkennen haben und dass man aufhört, hier nur über Gäste zu sprechen.

 


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