BundesratStenographisches Protokoll849. Sitzung / Seite 136

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eines der wichtigsten und größten Projekte österreichischer Justizgeschichte auf den Friedhof getragen – und die Konsequenzen sehen wir jetzt.

Ihre Vorgängerin, Herr Justizminister, hatte Fälle zu bewältigen – wenn man jugend­liche Menschen mit Erwachsenen in überfüllte Justizanstalten steckt, dann gibt es das, was es gegeben hat –: Vergewaltigung von jungen Menschen in Justizanstalten; das ist abenteuerlich. Ich selbst war für Sie, Herr Minister – nicht persönlich, aber für Ihr Ministerium –, über dreißig Jahre lang ehrenamtlicher Bewährungshelfer und aufgrund Hunderter Fälle kann ich Ihnen sagen: Jugendliche Menschen sind keine erwachsenen Menschen.

Wenn wir von überlangen Untersuchungshaftdauern sprechen, dann erzähle ich Ihnen meinen schlimmsten Fall: Ein 16-jähriger Bub, der eine Krise hatte, der nicht gewusst hat wohin, die Eltern geschieden, hat zwei Videokassetten irgendwo mitgenommen – vielleicht um seine Seele ein bisschen zu entlasten wegen des ganz schlimmen Scheidungsverfahren seiner Eltern – und saß neun Monate in Untersuchungshaft! Neun Monate! Das Gericht hat ihm dann bei der Urteilsverkündung acht Tage Strafe gegeben, und der Richter hat noch gesagt: Sie haben kein Guthaben bei uns.

Wie sollte ich dann diesem jungen, 16-jährigen Menschen erklären, warum er neun Monate in Haft gesessen ist und der Richter dann zu ihm sagt: Sie haben kein Guthaben bei uns!? – Natürlich hat er kein Guthaben, aber Jugendstrafrecht heißt, dass wir Menschen in einem bestimmten Alter, die aus bestimmten Gründen – sei es, dass sie psychosozial nicht reif genug sind, dass familiäre Problematiken, Integrations­problematiken, Adoleszenz-Turbulenzen dahinterstehen – aus der Kurve fliegen, zeigen, dass hier nicht die Rache ist, sondern die Hilfe, die Hilfe der Wiedereinglie­derung, die Hilfe, junge Menschen bei der Hand zu nehmen, weil junge Menschen doch auch nichts anderes als ihre Bestätigung in der Gesellschaft finden wollen.

Jetzt gehe ich noch einmal 96 Jahre zurück. Damals wurde man mit 21 Jahren volljährig. Was wir hier schaffen, ist ja nur im Geiste dessen – nach den modernsten Erkenntnissen des Jahres 1919, die die modernsten Erkenntnisse des Jahres 2015 sind –, dass hier psychosoziale Defizite, Nachreifungsprozesse bestehen und dass genau in diesem Alter Turbulenzen stattfinden, und deshalb brauchen wir das, gemein­sam mit der Sozialnetz-Konferenz und Jugendwohngemeinschaften. Wie oft hätte ich mir in den letzten 30, 35 Jahren gewünscht, für junge Menschen all diese Dinge zu haben, die wir jetzt zugrunde legen.

Ich habe schon im Ausschuss gesagt, dass man dann als Bewährungshelfer so manchmal ein bisschen ratlos ist, wenn der Richter eine Maßnahme mit der Bedingten unter Anordnung der Bewährungshilfe setzt, indem er sagt: Arbeitsverpflichtung.

Jetzt frage ich mich: Arbeitsverpflichtung? – Wir alle kennen die Arbeitsmarktlage. Deshalb ist es noch einmal schädlich gewesen, dass der Jugendgerichtshof aufgelöst wurde, denn dort konnten wir den Jugendlichen immerhin Berufsausbildungen anbie­ten, denn wenn die Zeit der Wiederfindung, auch der sozialen Stärkung des eigenen Ichs, mit einer Ausbildung verbunden ist, dann ist natürlich die Wiedereingliederung nachher etwas leichter.

Das Grundprinzip aller Strafe ist ja, dass wir strafen, aber nicht rächen, und da ich mir heute eine solche Rede angehört habe, muss ich sagen: Ich glaube, das ist falsch. Ich musste im Rahmen des Europarates den Bericht Youth in Detention in Europe vorlegen, und dann werde ich den vielen, die ja immer die Schweiz zitieren, eines sagen: Die Schweiz hat ein juristisches Ziel im Jugendstrafrecht: Kein Jugendlicher in die Haft! Das ist ein Ziel, ein gesellschaftliches Ziel, dass man alle anderen Formen nimmt. Natürlich, wenn es dann eine schwere Straftat ist, ich habe das auch gegen­über der Schweiz releviert, wird es hin und wieder doch die Notwendigkeit geben, dass


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