BundesratStenographisches Protokoll850. Sitzung / Seite 29

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10.21.55

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Herr Präsident! Wertes Präsi­dium! Sehr geehrter Herr Minister! Frau Staatssekretärin! Kollegen und Kolleginnen! Die Debatten rund um die Flüchtlinge beschäftigen uns ja nicht erst seit heute, sondern seit Monaten, also seit Längerem. Die Zeit reicht leider nicht aus, um auf alles einzugehen, was mir in diesem Zusammenhang wichtig wäre.

Nur eines: Ich glaube, abseits von Parteifarbe ist uns allen bewusst, dass, wenn wir das jetzt nicht schaffen, diese Herausforderung nicht schaffen, wir dann die Hand­lungs­unfähigkeit amtlich haben. Wir wissen alle, dass sich die Situation nicht bessern wird, wenn der Krieg in Syrien beendet wird, sondern dass wir die nächsten Jahre und Jahrzehnte mit weiteren Krisen konfrontiert sein werden und dass unsere Antworten darauf nicht ein paar Zäune oder eine Obergrenze sein kann.

Ich möchte auf einen Aspekt eingehen, der in der Debatte viel zu kurz kommt. Wir reden immer von jungen Männern, die nach Europa kommen – das Stichwort Köln ist heute schon ein paar Mal gefallen –, aber wir denken nicht daran, wie es schutzsuchenden Frauen geht, die sich bereits in Österreich befinden.

Wir wissen, dass einer von zwei Flüchtlingen weltweit weiblich ist – mit steigender Tendenz. Zudem gibt es eine sehr ungleiche Verteilung von Frauen und Männern auf der Flucht. Während über 50 Prozent der syrischen Flüchtlinge in Jordanien bezie­hungs­weise in der Türkei weiblich sind, haben wir fünf Mal mehr Männer als Frauen bei Ankünften an EU-Mittelmeerküsten. In Österreich schwankt der Frauenanteil unter den Flüchtlingen seit 2010 zwischen 24 und 30 Prozent.

Wir wissen, dass weibliche Flüchtlinge nicht anders als männliche in Gemeinschafts­räumen untergebracht werden. Wir wissen, dass es kaum getrennte Unterkünfte gibt. Viele von Ihnen können sich vielleicht noch an die Diskussion über banale Duschvor­hänge in Traiskirchen erinnern. Das ist eine Sache, die wir uns abseits von der politischen Farbe, glaube ich, zu Herzen nehmen sollten, weil es da tatsächlich um eine Reproduktion und Fortführung dessen geht, was wir bekämpfen, nämlich Gewalt an Frauen.

Gewalt an Frauen findet nicht erst seit Silvester statt. Fakt ist, dass jede dritte Frau in Europa davon betroffen ist, dass Österreichs Frauenhäuser überfüllt sind, dass diese Frauenhäuser auch keine Flüchtlingsfrauen, die mit einer posttraumatischen Belastungsstörung nach Österreich kommen, aufnehmen, dass es keine Beratung für diese Frauen gibt oder dass es keine Sensibilisierung beim Personal in den Erstauf­nahmezentren gibt, was Gewalt an Frauen anbelangt. Und wir wissen, dass diese Frauen, die schon auf der Flucht Gewalt ausgesetzt waren, diese dann in Österreich in den Aufnahmezentren und den Unterkünften weiterhin erleben.

Erschreckend ist es, wenn wir im Zuge der Diskussionen um Familienzusammen­füh­rungen genau diese Aspekte außer Acht lassen. Es ist auch erschreckend, wenn die schutzsuchenden Frauen keinen adäquaten Zugang zu medizinischer und psychologi­scher Betreuung haben.

Die Auflösung sozialer und gesellschaftlicher Strukturen einer Gesellschaft führt natürlich auch zu einer Zunahme der Gewaltbereitschaft. Wir wissen, dass in vielen Bürgerkriegen systematische Vergewaltigungen von Frauen zur erklärten Kriegsstra­tegie gehören und dass Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, unter psychischen Langzeitfolgen leiden.

Wir haben derzeit 240 Plätze in Traiskirchen, an die sich Frauen zurückziehen können. Mittlerweile gibt es auch schon ein paar Duschvorhänge. Was aber nach wie vor nicht


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