BundesratStenographisches Protokoll850. Sitzung / Seite 110

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hat und dass sie jetzt den ersten Bewährungstest nicht bestanden haben. Ein einziges Mal fragen wir – nach 20 Jahren – umgekehrt nach Solidarität. Und was macht Polen? – Polen rechnet alle Arbeitsmigranten, Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen, selbst 60 000 deutsche Lehrer und Lehrerinnen mit unter die Flüchtlingsquote und sagt: Wir haben eine Million! Wenn wir anfangen, unsere größte Migrantengruppe, die Deutschen, mit hineinzurechnen, dann kommen wir durch den Plafond durch.

Diese Staaten haben diesen Bewährungstest also nicht bestanden. Und wie wir heute schon gehört haben: Die Europäische Union ist keine Diktatur. Das heißt, wir müssen überzeugen. Wir haben zum Beispiel im Rahmen der COSAC stundenlang – stunden­lang! – mit den Visegrád-Staaten gestritten, weil sie – und das ist leider in diesem Dokument der EU auch merkbar – immer etwas verwechseln: Wir haben Asylsuchende und wir haben Migranten. Und wenn man das ständig vermischt, dann kommen wir in eine Situation, die auch im Rahmen der Europäischen Union zu klären ist. Ich kenne keine Migrationswelle, ich kenne eine riesige Flüchtlingswelle. Das ist eine Ver­wischung von Begriffen und öffnet natürlich genau den Visegrád-Staaten hier Tür und Tor. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Natürlich hapert es – und da gehört Verhandlungsgeschick dazu – an den ganzen Neuansiedlungs- und Umsiedelungsprogrammen, wie sie auch in diesem Programm vorkommen. Es ist eine Schande: Richtig, knapp 400 Personen sind bisher umge­sie­delt worden. Aber es handelt sich dabei auch um Menschen. Wir transportieren nicht per Zwang Menschen. Wir sind auch damit konfrontiert, dass Menschen, die Schutz suchen, nach wie vor Würde haben, Menschenwürde, und man nicht einfach sagen kann: Du und die sechs Nächsten, ihr kommt jetzt einmal nach Polen, na, nehmen wir deinen Bruder noch dazu, aber die Tante schicken wir jetzt einmal nach Frankreich! – Das sind Menschen, und Menschen muss man abholen, man muss sie möglichst frühzeitig abholen. (Beifall bei der SPÖ.)

Kommen wir nun zu dem Bedrückendsten – wir müssen in Europa etwas retten –: Eine der größten Errungenschaften, die wir haben, ist Schengen. Und wir müssen Schengen retten und Dublin abschaffen, denn Dublin war nie für das gedacht, was derzeit geschieht. Leider träumen Sie, Frau Bundesministerin, hier auch immer noch davon, dass Dublin zu retten ist. (Bundesrat Stögmüller: Das machen Sie mit, die SPÖ!) Dublin wäre geeignet, Frau Bundesministerin, wenn es 5 000 oder 10 000 Menschen in ganz Europa beträfe, aber es geht um Hunderttausende Menschen. Wir können das nicht in der Form betreiben. Aber wir müssen Schengen retten, wir müssen diese internen Zäune wieder wegbekommen – das ist ja gegen den europäischen Geist.

Als ich heute in der Früh den Südtiroler Landeshauptmann gehört habe – das war ja eine richtige Labsal –, habe ich gedacht: Ja, das ist europäisches Denken! Der Süd­tiroler Landeshauptmann hat heute klar formuliert, dass wir solche Zäune nicht brauchen.

Kommen wir zum nächsten Punkt: Die Hotspots sind schon richtig, aber dort leben auch Menschen. Auch auf der Insel Lesbos leben Menschen, die von der Landwirt­schaft und vom Tourismus leben. Und wir tun immer so, als könne man sagen: Ja, die 100 000 halten wir dort auf, die anderen 100 000 halten wir dort auf. Und gleich­zeitig kommt die EU-Troika und verlangt von Griechenland, über 40 Prozent der Beamten abzubauen, die auch abgebaut wurden. Na glauben Sie nicht, dass auch in den Bereichen Zoll und Exekutive abgebaut wurde, oder wurden nur Lehrer oder Kran­kenschwestern abgebaut? Griechenland ist nicht der Bashing-Kandidat, dem man alles anhängen kann. Ich wundere mich, dass manche Politiker und Minister immer sagen, dass die Griechen ihre Aufgabe nicht erfüllen. Sie können sie nicht erfüllen, und des­halb muss solidarische Hilfe geleistet werden.

 


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