BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 10

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Ich selbst bin allerdings ein überzeugter Föderalist. Das hat nicht nur mit der Tatsache zu tun, dass diese Republik zweimal von den Bundesländern gegründet wurde – was die Republik undankbarerweise immer wieder zu vergessen scheint –, nein, auch europäische Erfahrungen zeigen, dass föderal organisierte Staaten zu den besonders erfolgreichen zählen. Es sind dies vor allem folgende vier: Schweiz, Deutschland, Belgien und eben Österreich.

Auf das vielfach gehörte Argument, Österreich wäre doch viel zu klein, um sich neun Bundesländer mit neun Landesregierungen und neun Landesparlamenten zu leisten, möchte ich zunächst erwidern, dass dieser technokratische Ansatz ein beredtes Beispiel dafür ist, dass der Technokrat von allem zwar den Preis, aber nicht immer den Wert weiß.

Die Schweiz mit rund einer Million Einwohnern weniger als Österreich verfügt über 26 Kantone und ist offensichtlich nicht zu klein dafür. Das deutsche Bundesland Saarland ist kleiner als Vorarlberg; Thüringen und Schleswig-Holstein sind kleiner als die Steiermark; Hessen und Rheinland-Pfalz sind etwa gleich groß wie Niederöster­reich.

Schließlich geht es in der Verfasstheit eines Staates nicht nur um organisatorisches, infrastrukturelles sowie rechtliches Funktionieren, sondern auch um ein hohes Maß an Emotionalität, die letztlich das Genom der Identität eines Staatsvolks ausmacht.

Es ist nun einmal aufgrund der historischen Entwicklung eine Tatsache, dass ein Tiroler, ein Steirer oder ein Salzburger sich eben zunächst als Tiroler, Steirer oder Salz­burger fühlt – und dann erst als Österreicher und als Europäer. Den Menschen diese Form von Bindung – übrigens auch an die eigene Gemeinde – zu nehmen, indem die Bundesländer ihrer Funktion beraubt würden, würde bedeuten, die Men­schen in unserem Land ärmer zu machen, ihnen etwas zu nehmen, was ihnen bewusst oder unbewusst wichtig ist, sie stolz macht, Sicherheit und Halt, aber auch Aufgabe gibt.

Wie wichtig ist es etwa für einen Oberösterreicher oder für einen Vorarlberger, im nationalen Kontext sein Bundesland ganz vorne zu sehen? Wie viel Stolz liegt in den Menschen, wenn aus ihrem Bundesland besondere Leistungen in Sport, Kultur, Wis­senschaft und Forschung oder Wirtschaft erbracht werden? Ist nicht Stolz eine Basis dafür, zu bleiben, an Zukunft zu glauben, zu investieren und motiviert zu werden, noch besser zu sein?

Es gibt in dieser Republik Österreich keinen Quadratzentimeter und keine Person außerhalb einer Gemeinde und außerhalb eines Bundeslandes. Von jeher war Subsi­diarität, also das Zuteilen von Aufgabenverantwortlichkeiten in die jeweils nächste Ebene, also von der Familie über die Gemeinde, das Bundesland bis hin zur Republik und letztlich zur Europäischen Union, ein strukturelles Erfolgsgeheimnis. Und genau darum geht es: um Nähe, um das Wissen um Besonderheiten und Notwendigkeiten in einem Bundesland, um die eigenen Stärken, die ausgebaut, aber auch die Hilfsnot­wen­digkeiten, die unterstützt werden müssen.

In Wien, unserer prachtvollen Hauptstadt, leben rund 1,7 Millionen Menschen, also rund 20 Prozent von 8,5 Millionen Österreicherinnen und Österreichern. Mit anderen Worten: Außerhalb Wiens leben 80 Prozent der Menschen, und diese 80 Prozent leben in völlig anderen Lebensumständen als in einer Großstadt. Sie leben in Gemeinden unterschiedlicher Größe, mit unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen. Viele müssen zur Arbeit auspendeln, viele Gemeinden sind auch noch landwirtschaftlich geprägt, Brauchtum und Tradition spielen eine wichtige Rolle, Nachbarschaft und einander zu kennen, hat einen ganz anderen Stellenwert als die, oft auch befreiende, Anonymität der Großstadt.

 


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