BundesratStenographisches Protokoll851. Sitzung / Seite 11

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Die Menschen prägt wohl am meisten über lange Zeitspannen das Klima und die Geografie. So kann für jedes Bundesland, für jede Region eine unterschiedliche Cha­rak­teristik festgemacht werden, die sich vom burgenländischen Weinbauern, dort, wo die Pannonische Tiefebene beginnt, bis zum Vorarlberger Sparmeister, vom tüchtigen Niederösterreicher bis zum heimatbewussten Steirer zieht. Auf dem Land gibt es lange Verkehrswege, schwierige Topografien, prägenden Tourismus, Naturkatastrophen wie Lawinen, Vermurungen, Überschwemmungen, oft auch das Nichterreichen einer kriti­schen Masse an Bevölkerung.

Dominiert der Rechenstift, dann müsste zum Beispiel im kleinen Bezirk Lungau im Salzburger Land mit nur 20 000 Einwohnern das Spital genauso zugesperrt, wie das Bezirksgericht geschlossen werden. Die hervorragenden Schulen in diesem Bezirk tragen nur zur Landflucht bei – also zusperren. Für Wahlergebnisse uninteressant, wirt­schaftlich kaum entwickelbar – das weitere Schicksal also: ein reiner Erholungsraum für die Städter und sonst nichts?

Nein, auch diese Menschen haben ein Recht auf Zukunft, auf Infrastruktur vor Ort, auf Entwicklung, auf Kranken- und Altenbetreuung, auf Rechtsprechung, auf eine eigene Identität, zum Beispiel eben jene der Lungauer, die nicht nur in einer folkloristischen Verklärung ihrer Region, sondern vor allem auch in Chancen und Lebensperspektiven bestehen muss.

Darum geht es: um Nähe, um das Erkennen von Stärken und Schwächen, um Erreich­barkeit, um Ansprechbarkeit, um rasche Entscheidungen. Dafür steht der Födera­lis­mus. Dafür müssen die Länder, ihre Landesregierungen und ihre Landtage stehen, denn das Gegenteil von Nähe heißt Entfernung oder politisch übersetzt Entfremdung.

Die kritische Frage muss gestellt werden: Wie weit hat sich Wien – und damit meine ich nicht die Stadt Wien und ihre Bevölkerung, sondern die Bundesregierung und mög­licherweise auch dieses Parlament – von diesen Regionen, von diesen Menschen in unserer Republik, also in den Bundesländern entfernt? Wie weit ist die Entfremdung bereits fortgeschritten? Diese Frage ist umso berechtigter, wenn man sie Richtung Brüssel adressiert.

Damit bin ich bei einem ganz wesentlichen Punkt angelangt, meine Damen und Her­ren, nämlich bei der gegenwärtigen Krise der repräsentativen Demokratie. Hat diese nicht vor allem auch damit zu tun, dass viele Menschen sich nicht mehr ausreichend vertreten, wahrgenommen oder in ihrem Tun und Sein wertgeschätzt fühlen? Hat es nicht auch damit zu tun, dass bei vielen Menschen ein Gefühl der Ohnmacht und der latenten Unzufriedenheit über die Organisation, die Reformkraft, aber auch die Ent­scheidungsstärke unseres Staatswesens empfunden wird?

Diese Phänomene sind eigentlich vor allem deshalb bemerkenswert, weil wir in einem im internationalen Vergleich insgesamt doch recht erfolgreichen Staat leben dürfen, mit einem in den Epochen unserer Geschichte bisher nie gekannten Wohlstand – nicht nur für wenige, sondern für sehr viele. Woran liegt es, dass Larmoyanz, Wohlstands­nörgelei und Empörungskultur immer mehr die Oberhand gewinnen, so als wären wir auf einem sinkenden Schiff, das keine Zukunft hat?

Der Versuch einer Antwort kann nur fragmentarisch sein; er erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Der eine Grund liegt wohl in einem Missverständnis, nämlich dem, dass Glück mit Wohlstand zu tun hat. Die Werbung, vielmehr aber auch die Politik, verspricht den Menschen Glück. Es ist der große Irrtum unserer Generation, das Ziel unseres Lebens in der zwanghaften Jagd nach vermeintlichem Glück als angenehmem Dauerzustand zu sehen; es gibt – wenn man Glück hat – immer wieder Grund zum Glücklichsein,


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