BundesratStenographisches Protokoll859. Sitzung / Seite 51

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Ein weiterer zentraler Punkt ist, dass wir die Jugend nicht mehr beschäftigen können. Und das ist für mich überhaupt das Hauptproblem Europas, dass in den OECD-Ländern 40 Millionen Menschen zwischen 15 und 29 Jahren keine Arbeit mehr haben. Da bin ich wieder bei der Analyse des Bundeskanzlers: Wir können den Menschen keine Zuversicht mehr geben, und deshalb gibt es das Misstrauen gegen den Zen­tralismus, und deshalb gibt es auch das Misstrauen gegen derartige Freihandels­ab­kommen, die jahrelang im Geheimen verhandelt werden.

Ich bin der Meinung, dass das nur eine weitere Planierraupen-Aktion ist, mit der man den Großen den ungebremsten Raubzug des Kapitals ermöglicht. Wo ist der Mittel­stand, der unternehmerische Mittelstand, der Mittelstand unserer Gesellschaft? – Be­denken Sie, dass vor einigen Jahren ein Ehepaar – sie Lehrerin, er irgendwo in einem Büro tätig – eigentlich ein gutes Mittelstandsfamilienunternehmen war. Ver­gleichen Sie das Einkommen von vor 20 Jahren mit dem von heute, und Sie werden sehen, dass dieser Mittelstand schon lange nicht mehr existiert – vom unternehmerischen will ich gar nicht reden.

Diese Abkommen richten sich auch gegen die Umwelt, denn Globalisierung heißt gnadenlos: Transport, Transport, Transport. Im Burgenland werden die Kartoffeln ge­erntet, in Bozen in Südtirol werden sie gewaschen, in Belgien werden sie zu Pommes frites verarbeitet und in Spanien dann verkauft. Das ist doch bitte keine Nachhaltigkeit, aber genau das ist der Zweck dieser Abkommen!

Diese Abkommen wirken auch gegen eine ökologische Landwirtschaft. Wenn man etwa nur an das Beispiel Saatgut denkt, so muss es da der ÖVP, zumindest den Agrariern in der ÖVP, doch die Haare aufstellen! In Wirklichkeit geht es darum, dass nicht mehr derjenige, der Grund und Boden besitzt, eine Ernte einfahren kann, sondern derjenige, der das Saatgut besitzt – weil nämlich nach zwei Ernten dort nichts mehr wächst, wenn man nicht bei Raiffeisen und seinen internationalen Freunden das Saat­gut einkauft. Und wer das zulässt, verbrät den ländlichen Raum, wer das zulässt, verbrät gesunde Lebensmittel, und wer das zulässt, ist sozusagen der Motor der bäuerlichen Rückentwicklung dahin gehend, dass wir überhaupt nur mehr eine Lebensmittel- und Agrarindustrie, die international agiert, haben.

Was die Auswirkungen auf die europäische Lebenskultur betrifft, so richten sich diese gegen den Sozialstaat. Also ich möchte, wenn ich an TTIP und CETA denke, Öster­reich nicht mit den USA vergleichen. Das Gesundheitssystem sei da als ein Beispiel angeführt, ebenso die McJobs. Wie viele Slums gibt es in den USA, und wie viele gibt es in Österreich? – Noch haben wir keine, zumindest keine größeren, außer einige Stadtviertel von Wien, wo auch die Zustände aufgrund der Zuwanderung sicher nicht gerade erfreulich sind.

Das ist die Problematik! Herr Präsident, Sie haben gesagt, es gibt die Diskussion, die Europäische Union abzuschreiben. Nein, ich sage, man muss die Europäische Union neu schreiben! So wie Bosnien und Herzegowina ein Dayton II benötigt, brauchen wir ein neues Europa: ein Europa des Vertrauens, ein Europa der Zuversicht, ein Europa der Regionen und vor allem auch ein Europa der Menschlichkeit. Das ist das Dilemma, das derzeit, weil eben dieses Zukunftsversprechen, dass es den Menschen besser geht, überhaupt nicht mehr vorhanden ist … – Das ist kein Grund zu lachen, Frau Bun­desrätin (in Richtung Bundesrätin Schreyer), das ist die Sorge der Menschen, die sie jeden Tag haben, um auch Landau zu zitieren. Und diese Technokraten in Brüssel machen lieber Freihandelsabkommen mit den Kanadiern und US-Amerikanern als eine Politik für Menschen und für Europa!

Dafür stehen wir, und deshalb, Herr Präsident, bin ich Ihnen als deutschsprachigem Wallonen und Ihrer Region sehr dankbar, dass Sie jetzt die Reißleine gezogen haben


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