BundesratStenographisches Protokoll872. Sitzung / Seite 123

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passiert ist, und vielleicht auch ein bisschen dazu beitragen, zu erkennen, wie es pas­sieren konnte. Wie konnte es eigentlich dazu kommen, dass wir mit diesen Abscheu­lichkeiten – oder eigentlich nicht wir, nicht die meisten von uns, sondern unsere Groß­eltern, unsere Eltern – konfrontiert wurden?

Es hat eigentlich in der Zwischenkriegszeit begonnen: Die schlechte wirtschaftliche La­ge, die hohe Inflation, die Arbeitslosigkeit und nicht zuletzt die Weltwirtschaftskrise En­de der 1920er-Jahre radikalisierten die Gesellschaft. Eine radikalisierte Gesellschaft ist sehr anfällig für Feindbilder. In der heutigen Zeit, aber auch in der Vergangenheit hat die Religion immer eine zentrale Rolle als Vorwand für ein Feindbild gespielt. Man braucht immer einen Vorwand oder einen Anlassfall für die Diskriminierung von Frem­den, und das sind vor allem die Religion und die Kultur.

Wir erleben so etwas in unserer Zeit, zwar nicht in dieser stark ausgeprägten Form wie vor dem Zweiten Weltkrieg, aber doch beginnend. Schauen wir uns einmal das Feind­bild an, das wir heute haben: Wir haben Muslime und Flüchtlinge; und weil das noch nicht ganz ausreicht, nehmen wir doch gleich die Sinti und die Roma und vielleicht noch einmal die Juden – die haben wir ja schon gehabt – auch dazu. Es macht ja nichts. Je mehr desto besser! (Bundesrätin Mühlwerth: Und wer macht das? Sag es einfach: Wer macht das?!) – Ach ja: Es gibt ja auch noch die Homosexuellen, nicht? (Bundesrätin Mühlwerth: Ich will ja nur wissen, wen du jetzt meinst! Wer jetzt? Sag’s einfach!) Die wollen ja sogar heiraten. Also: Warum stört das jemanden? (Bundesrätin Mühlwerth: Ich will aber wissen, wer da gemeint ist! Sag es einfach!) Wem tut denn das weh, wenn die heiraten wollen? (Bundesrat Rösch: Was hat das mit dem Thema zu tun?) Und meistens ist derjenige ... (Bundesrätin Mühlwerth: Du kannst ja nicht einfach etwas in den Raum stellen und dann sagen: Ja, nein, weiß ich nicht! – Bundes­rat Jenewein: Was ist da eigentlich die Botschaft?) – Weißt du, es ist eigentlich (Bun­desrätin Mühlwerth: Ja was jetzt?) immer so, dass derjenige, der bellt und meldet ... (Bundesrätin Mühlwerth: Deshalb will ich ja wissen, wer das macht! Sag es einfach!) – Habe ich irgendjemanden beschuldigt? (Bundesrätin Mühlwerth: Darum frage ich ja!) – Na schau dir doch bitte ... (Bundesrätin Mühlwerth: Darum frage ich ja! Wer macht das?) – Warum bist du so nervös und aufgeregt? (Bundesrätin Mühlwerth: Ich bin über­haupt nicht nervös, ich will es nur wissen!) – Ich habe mit keinem Wort die Freiheitli­chen erwähnt. Oder habe ich dazu irgendetwas gesagt? Es ist aber natürlich klar: Die­jenigen, die sich betroffen fühlen (Bundesrätin Mühlwerth: Ich weiß: Man hört ja nix, man sagt ja nur!), sind sofort da und schreien, bevor ich überhaupt fertig bin. Das ist ja das Interessante daran. (Bundesrat Rösch: Weil es keinen Sinn macht!)

Es ist so, dass sich diese Haltung quer durch die Bevölkerungsgruppen zieht – ange­trieben von der Angst davor, was man nicht kennt, und vor der Überfremdung. Das war immer so und das wird auch immer so sein. Zugegebenermaßen muss ich sagen: Es stört mich auch, wenn es mehr Kebabstände und keine Würstelstände mehr gibt. (Bun­desrat Stögmüller: Warum stört dich das?) Diese Bevölkerungsgruppe macht es uns sehr leicht, sie als Feindbild zu erkennen.

Auch da haben wir die Problematik, dass da von der linken Seite gleich wieder welche schreien: „Warum stört dich das?“ – Wir haben hier also sehr vielfältige Interessen, die eigentlich alle für die Bevölkerung nicht mehr richtig zu erkennen sind. Es ist natürlich problematisch, wenn es abgelehnt wird, einer Frau die Hand zu geben oder mit ihr zu sprechen. Wenn eine Parallelgesellschaft entsteht, ist das auch nicht gerade das Beste und das Feine. Man muss von diesen Menschen einfordern, dass sie sich auch an die Gepflogenheiten unseres Landes halten. Sollte dies nicht geschehen, wird es sicher wei­ter zu einer Radikalisierung der Mehrheitsbevölkerung kommen.

Vorher sind jedoch schon andere Feindbilder geschaffen worden: Arbeiter gegen An­gestellte, Arbeitslose gegen Arbeitende, alle gegen die Beamten – mit Desinformatio-


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