BundesratStenographisches Protokoll873. Sitzung / Seite 60

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und mit der Ausrichtung auf Machbarkeit nicht mitkommen. Seien wir ehrlich: Wer hat sich nicht schon einmal geärgert, wenn ein Rollstuhlfahrer etwa das Aus- und Einstei­gen in einem Bus verlangsamt hat?

Darin liegt auch ein wesentliches Hindernis in Bezug auf die Inklusion dieser Menschen in unserer Gesellschaft: Sie passen in manchen Punkten nicht in unsere Gesellschaft der Beschleunigung und des Denkens, dass alles machbar ist. Vielleicht sollten wir deshalb auch darüber nachdenken, ob sich nicht die Gesellschaft ändern soll und wir nicht nur bei den Menschen mit Behinderung ansetzen sollten. Es ist ja leider so, dass wir oft sehr einseitig den Menschen an unsere Gesellschaft anpassen und nicht umge­kehrt.

Damit bin ich bei meinem zweiten Punkt. – Wie etwa der Begriff „Behinderteneinstel­lungsgesetz“ zeigt, ist unsere Perspektive in erster Linie auf die Behinderung ausge­richtet. In der Bezeichnung „Menschen mit Behinderung“ kommt schon zum Ausdruck, dass der Mensch zuerst gesehen werden muss und dann erst die Behinderung. Es ist natürlich eine zu enge Sicht, wenn man – wie es in manchen Kreisen geschieht – da­von ausgeht, dass Behinderungen nur von der Gesellschaft geschaffen werden. Ohne die Beeinträchtigung des Menschen wirklich zu sehen, kann man nicht zielführende Maßnahmen zur Inklusion dieser Menschen in die Gesellschaft treffen. Es ist zum Bei­spiel wichtig, die Art der Behinderung genau zu betrachten, um Menschen deren Ein­beziehung in die Arbeitswelt zu ermöglichen.

Die Assistenz für Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz kann nur zielführend ge­staltet werden, wenn man die Behinderung, meine Damen und Herren, ernst nimmt. Aber betrachten wir die Menschen mit Behinderung nicht vorschnell nur als Behinderte! Dieser verengte Blick führt dazu, dass wir nur die Defizite dieser Menschen am Arbeits­markt sehen und diese meist vorwiegend mit Geld ausgleichen wollen, nicht aber die Möglichkeiten, die diese Menschen auch haben, erkennen. So haben Menschen mit Sehbehinderung oft ein sehr gutes Gespür für Stimmen und Menschen mit Autismus besondere mathematische Fähigkeiten.

In diesem Zusammenhang stimmt es, dass die Gesellschaft durch den einseitigen Blick auf Menschen mit Behinderungen diese zu Behinderten macht. Wir brauchen also auch im Anschluss an die UN-Behindertenrechtskonvention vom 13. Dezember 2006 – schon der Begriff zeigt die Verkürzung! – eine geweitete Sicht auf diese Menschen, damit das verwirklicht werden kann, was im § 13f Abs. 3 des vorliegenden Gesetzes so formuliert ist:

„Das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz hat die Verbrei­tung der Kenntnis der durch die UN-Behindertenrechtskonvention garantierten Rechte und der Möglichkeiten zu deren Umsetzung durch angemessene Maßnahmen zu för­dern.“

Meine Damen und Herren, eine solche Maßnahme ist gewiss auch die vorliegende Än­derung des Behinderteneinstellungsgesetzes. Die Tatsache, dass die Arbeitslosigkeit bei Menschen mit Behinderung doppelt so hoch ist wie im gesellschaftlichen Durch­schnitt, zeigt jedoch, dass Maßnahmen wie die Aufstockung der Gelder für die Schaf­fung von Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderungen und für die Arbeitsassistenz für Menschen mit Beeinträchtigungen und ähnliche Maßnahmen notwendig sind. Es ist also wichtig, dass auch die Institutionen, die behinderte Menschen vertreten, gestärkt werden.

Meine Damen und Herren, mir tut es aber leid, dass die Diskussion über die vorhin auf­gezeigte Notwendigkeit einer verstärkten Einbettung der Frage der Behinderung in ei­nen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang, die das Gesetz effektiver machen soll­te, zu kurz gekommen ist. Der Kontext des Wahlkampfes war einer solchen Diskussion


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