10.30.28

Bundesrätin Mag. Elisabeth Grossmann (SPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Sehr ge­ehrte (in Richtung Vizepräsidentin Ledl-Rossmann, die sich zum Präsidium begibt) Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Wir haben heute schon einige Abschiedsreden gehört und werden, denke ich, auch noch einige hören. Für mich ist dies die Erstrede hier im Bundesrat – man sagt dazu auch Jungfernrede, ich bleibe aber bei Erstrede –, und ich freue mich, dass ich diese Erstrede zu einem europapolitischen Thema halten darf. (Vizepräsidentin Ledl-Ross­mann übernimmt den Vorsitz.)

Der vorliegende Bericht, den der Berichterstatter zitiert hat, gibt Anlass und bietet Gele­genheit, ein paar generelle Anmerkungen zur Europapolitik der derzeitigen Bundesre­gierung zu machen. Dieser Bericht von Ihnen, Herr Bundesminister, und dem derzeiti­gen Bundeskanzler Kurz ist ja in mehrerlei Hinsicht entlarvend, wenn man sich diesen genauer ansieht, und zwar nicht nur aufgrund dessen, was darin steht – wobei vieles davon okay und auch unterstützenswert ist –, sondern vor allem auch aufgrund des­sen, was nicht darin steht. Gerade das, was nicht darin steht, obwohl es für die Men­schen in Österreich und in der gesamten Europäischen Union wichtig wäre, gilt es be­sonders hervorzustreichen.

Wir hatten hier gestern eine sehr interessante Enquete. In diesem Zusammenhang möchte ich auch Herrn Präsidenten Reinhard Todt für die Initiative und allen, die sich sehr aktiv an dieser Enquete zum Thema Armut beteiligt haben, danken. Es war auch ein Vertreter der Europäischen Kommission zu Gast, der darauf hingewiesen hat, dass wir auf Unionsgebiet sage und schreibe 18 Millionen arbeitslose Menschen – darunter sehr viele Jugendliche – haben. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, muss die Alarmglocken schrillen lassen!

Es steigt auch die Armutsgefährdung stetig an, vor allem die Zahl der sogenannten Working Poor, also der Erwerbstätigen, die trotz Arbeit arm sind und unter die Armuts­definition fallen. Das scheint für die derzeitige Bundesregierung aber kein Thema zu sein! Dabei ergäbe sich die Gelegenheit, gerade die EU-Ratspräsidentschaft dafür zu nutzen, mit positivem Beispiel voranzugehen und auch darauf zu verweisen, was Ös­terreich in der Vergangenheit geleistet hat.

Gerade durch die weltweit schlimmste Wirtschaftskrise, an die wir uns alle erinnern können, ist Österreich durch verschiedene aktive Maßnahmen gut gekommen, vor al­lem durch die Maßnahmen im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik, durch gezielte Qualifizierungsmaßnahmen, durch Jugendbeschäftigungsprogramme, durch das duale und auch triale Ausbildungssystem, durch überbetriebliche Lehrwerkstätten und Pro­duktionsschulen. (Bundesrätin Mühlwerth: Das Anspringen des Wirtschaftsmotors hat auch geholfen!) – Liebe Frau Kollegin, danke, dass Sie auch darauf hinweisen: Durch unsere Wirtschaftspolitik ist auch der Wirtschaftsmotor wieder angesprungen! In die­sem Zusammenhang ist es natürlich auch ganz wichtig, über entsprechend qualifizierte Arbeitskräfte zu verfügen, um die frei werdenden Stellen auch besetzen zu können. Die Wirtschaft lechzt nach qualifizierten Arbeitskräften! (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Gerade durch Qualifizierungsmaßnahmen im Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik haben wir es geschafft, den Fachkräftebedarf zumindest zu einem großen Teil abzu­decken. Wir sind international überall dafür beneidet worden. Der Herr Kollege hat es schon gesagt: Es sind Delegationen nach Österreich gekommen und haben sich unse­re Erfolgsmodelle angesehen. Das ist etwas, worauf wir gemeinsam stolz sein können! Auch die ÖVP als damaliger Koalitionspartner hat aktivst mitgewirkt. – Vielen herzli­chen Dank dafür. (Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Es besteht aber absolut kein Grund, sich jetzt förmlich davon zu distanzieren und das fast als Teufelswerk abzutun, nur weil es von der vorherigen Regierung gekommen ist. (Beifall bei SPÖ und Grünen. – Bundesrätin Mühlwerth: Könnt ihr euch noch erinnern, dass ihr einmal in der Regierung wart?)

Im Hinblick darauf möchte ich Sie schon ersuchen, auch der Wahrheit die Ehre zu geben! Das haben wir gemeinsam gemacht. Ich sage es ja: Das sind wichtige Dinge – aber es fehlt auch sehr viel. (Bundesrat Mayer: Das Programm habt ihr mitbeschlos­sen!)

Diese EU-Ratspräsidentschaft könnte nun dafür genützt werden, dieses Erfolgsmodell nach Europa zu tragen, um die Arbeitslosigkeit in Europa zu senken und einzudämmen und vor allem der Jugend eine Chance zu geben. Arbeitslosigkeit und Perspektivenlo­sigkeit der Menschen, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind nämlich sozialer Sprengstoff für die Gesellschaft in Europa, und das muss uns zu denken geben. Das ist auch ein Sicherheitsrisiko, wenn Sie schon so gerne von Sicherheit reden. Das ist das größte Sicherheitsrisiko! (Bundesrätin Mühlwerth: Warum habt ihr dann diesbe­züglich nichts gemacht?) Darauf sollte ganz besonderes Augenmerk gelegt werden! Diese Chance wird aber leider bei der Prioritätensetzung im Zusammenhang mit der EU-Ratspräsidentschaft nicht genützt, und das ist schade!

Sie widmen sich lieber dem Begriff der Subsidiarität. Wir haben heute schon Defini­tionen gehört. Kollege Schennach hat darauf verwiesen. Frau Dr.in Reiter hat darauf verwiesen. Es gab wichtige Anmerkungen. Der Europaminister, der jetzt am Handy surft, hat auch darauf Bezug genommen. (Bundesrat Posch: Eh schon länger!) Sie ha­ben zitiert: „Niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt“. – Ja. Niemand verliebt sich in den Arbeitsbegriff; das ist eine Arbeitsmethodik; die Subsidiarität hat schon ihre Be­rechtigung, aber man muss sie auch richtig verstehen. Wenn das jedoch so verstanden wird, dass sich die EU überall zurückziehen und ja nicht zu viel tun dürfen soll, gleich­zeitig aber für alles verantwortlich sein soll, dann wird dieser Begriff gründlich missver­standen.

Es wird gesagt, dass für Migration und Außengrenzschutz verstärkt Verantwortung übernommen werden soll. – Sie wissen ja, wie weitläufig die europäischen Grenzen sind, und um diese Aufgabe erfüllen zu können, brauchen die europäischen Behörden auch entsprechendes Pouvoir, und das kostet Geld. Gleichzeitig wollen Sie aber den EU-Haushalt kürzen. – Das passt halt irgendwie nicht zusammen!

Letzteres gilt ebenso für die Vorstellung, die Einnahmenausfälle durch den Brexit durch Ausgabenreduktionen zu kompensieren, gleichzeitig darf aber beim größten Brocken, der Landwirtschaft, nur ja nichts angetastet werden – wobei wir wissen, dass nicht die kleinen Bauern, die kleinen Biobauern, die das wirklich brauchen würden, diese Förde­rungen lukrieren, sondern die Großgrundbesitzer, die meistens außerhalb Österreichs angesiedelt sind, wie etwa das britische Königshaus. In dieser Kategorie werden die Förderungen in großen - - (Zwischenrufe bei der FPÖ.) – Großbritannien ist dann nicht mehr dabei, aber derzeit noch.

Wie gesagt: Die Angehörigen dieser Kategorie, die Großgrundbesitzer, holen sich die­se Förderungen ab, und die kleinen Bauern schauen dann durch die Finger. Das kann es auch nicht sein! Hier muss wirklich auch der Wahrheit die Ehre gegeben werden: Wo wollen Sie denn sparen? Das muss zusammenpassen. Da muss mehr Logik in die Argumentation. Seien Sie bitte ehrlich! (Bundesrätin Mühlwerth: Das Wort Sparen kennen Sie ja nicht! Das ist für Sie ein Fremdwort!)

Österreich war politisch immer in der Mitte Europas und hat sich in der europäischen Zusammenarbeit immer als verlässlicher Partner gezeigt. Das muss auch in Zukunft so bleiben. Gerade in Anbetracht der weltpolitischen Umwälzungen im Zuge der Trump-Administration und vieler Entwicklungen mehr braucht es ein gestärktes, ein geschlos­senes Europa, um gemeinsam auch gegen Lohn- und Sozialdumping vorzugehen, um gemeinsam gegen Armut vorzugehen, aber auch um gemeinsam gegen undemokrati­sche, autoritäre Tendenzen oder gegen eine Aushöhlung der Pressefreiheit vorzuge­hen. Diesbezüglich hört man von Ihnen relativ wenig. Ganz im Gegenteil: Es gibt Sym­pathiebekundungen für Regierungen, die in diesem Zusammenhang eine fragwürdige Politik verfolgen.

Ich ersuche Sie also wirklich: Bewahren wir den Platz Österreichs inmitten Europas, auf Basis der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit! Drängen Sie uns nicht poli­tisch an den Rand!

Wir brauchen wie gesagt ein starkes Miteinander, auch wenn es darum geht, die Rechte der arbeitenden Menschen zu wahren. Leiten Sie deshalb bitte das Bewer­bungsverfahren ein, damit Österreich Sitz für die Arbeitsschutzbehörde wird – auch eine ganz wichtige Maßnahme! Österreich hat da eine sehr hohe Kompetenz, und die­se gehört weiterhin im Sinne der Menschen in Österreich und im Sinne der Menschen in der Europäischen Union gestärkt. – Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

10.40

Vizepräsidentin Sonja Ledl-Rossmann: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bun­desrat Gregor Hammerl. – Bitte, Herr Bundesrat.