BundesratStenographisches Protokoll876. Sitzung, 876. Sitzung des Bundesrates am 15. März 2018 / Seite 18

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sigkeit: Dafür sind wir in Europa bekannt, wir haben in diesem Bereich einen exzellen­ten Ruf und werden explizit als Vorzeigeland genannt. Es findet sich aber nirgends!

Lassen Sie mich zu drei weiteren Bereichen kommen, die aus meiner Sicht zu wenig bearbeitet werden: Da ist der Bereich der Arbeitsverhältnisse. Der Binnenmarkt und dieser massive Wettbewerb erhöhen den Druck auf den Arbeitsmarkt massiv. Lange, verlässliche, stabile Arbeitsverhältnisse sind äußerst selten geworden. Im Laufe von nur einer Generation ist die durchschnittliche Anzahl der Arbeitsstellen, die ein Arbeit­nehmer im Laufe seines Lebens annimmt, von einem Job fürs Leben auf über zehn an­gestiegen. Einer von sechs Europäern verrichtet Telearbeit. 44 Millionen arbeiten in Teilzeit. 22 Millionen Beschäftigte haben befristete Verträge. Wir alle kennen unzählige Menschen, meistens junge, die von Projektanstellung zu Projektanstellung hüpfen, von Prekariat zu Prekariat.

Jetzt stelle ich mir die Frage: Was macht denn das mit einer ganzen Generation von jungen Menschen, die sich eigentlich ein stabiles Leben aufbauen will, die Familie und Beruf vereinbaren will, die sesshaft werden will? – Die wollen Sicherheit für ihre Zu­kunft, für ihr Einkommen, eine Absicherung; und da hilft ihnen Frontex nichts, Herr Blü­mel.

Da müssen Sie sich mit Ihrem Programm schon ein wenig mehr anstrengen. Ich bin froh, dass die Kommission mit einem Richtlinienvorschlag über transparente und ver­lässliche Arbeitsbedingungen da einen Vorstoß wagt. Das haben sich die Arbeitneh­merInnen in Europa, die den ganzen Wohlstand mit erwirtschaften, endlich einmal ver­dient.

Wenn wir jetzt beklagen, dass durch den Austritt Großbritanniens im EU-Haushalt viel Geld fehlen wird: Na klar, das wird ein großes Loch reißen, aber das verwenden Sie als Bundesregierung offensichtlich, um Europa finanziell zurückzufahren, und Sie blen­den ganz bewusst das aus meiner Sicht viel größere Problem aus, nämlich dass Euro­pa jährlich durch legale und illegale Steuervermeidung 1 000 Milliarden Euro entgehen. Das ist gut das Dreifache der Staatsdefizite aller Mitgliedsländer zusammen.

Die Idee der digitalen Betriebsstätte, Kollege Mayer hat es angesprochen, ist schon gut so, aber in Wahrheit brauchen wir in dieser Frage einen echten Kraftakt. Steuern müs­sen dort bezahlt werden, wo die Gewinne erwirtschaftet werden. Briefkastenfirmen müssen verboten werden. Wir brauchen EU-weite Mindeststeuersätze, damit wir die­sem Dumping entgegentreten können. Wir haben ja im EU-Ausschuss vergangenen Dienstag das Mehrwertsteuersystem besprochen. Da könnten Sie breite, echte Initiati­ven in Gang bringen, Herr Bundesminister, eine andere Entwicklung vorantreiben, Steuergerechtigkeit herstellen – und nicht Steuersümpfe von der schwarzen Liste streichen, so wie es der Finanzminister seit Jänner macht. (Beifall bei SPÖ und Grü­nen.)

Der Binnenmarkt darf aus meiner Sicht keine Religion für Marktradikale sein, sondern er muss auch für die ArbeitnehmerInnen faire und gerechte Bedingungen schaffen. Lohn- und Sozialdumping ist auf Europas Baustellen und auf Europas Straßen nach wie vor Realität. Gerade als Österreicher wissen wir alle gut genug, dass wir Zielland von Entsendungen sind: über 300 000 Arbeitskräfte waren es im Vorjahr.

Wir sind auch von Sozialdumping massiv betroffen. Kontrollen im Jahr 2017 haben gezeigt, dass in österreichischen Betrieben bei 0,9 Prozent der ArbeitnehmerInnen der Verdacht auf Unterbezahlung vorliegt, bei Entsendebetrieben bei unvorstellbaren 44 Prozent. Deswegen ist es so wichtig, diese Reform der Entsenderichtlinie rasch zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen, denn diese strengeren Regeln sind längst überfällig. Dazu braucht es auch eine grenzüberschreitende Kontrolle mit einer – aus unserer Sicht – eigenen Arbeitsschutzbehörde. Die vorgeschlagene Arbeitsbehörde


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