12.49.44

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg): Herr Präsident! Frau Minister! Werte Kollegen und Kolleginnen! Es hat heute schon zwei Abschiedsreden gegeben. Ich kann Ihnen nicht zu 100 Prozent versprechen, dass ich bei der nächsten Sitzung gar nichts sagen werde, aber trotzdem ist dies wahrscheinlich die letzte Rede, die ich zu meinem absoluten Herzensthema halten kann und darf.

Es ist auch die Rede, in die die meisten Erfahrungen aus meinem politischen Leben einfließen, aus den Bereichen Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Klimawandel – ich bin als Biologin in die Politik gekommen, sehr beeindruckt vom Club of Rome in den 1970er-Jahren und diesen Berichten –, das ist die eine Seite. Die andere Seite ist mein wirklich tiefes Entsetzen über die Seichtheit und die völlige Inhaltsleere dieses vorliegenden Berichts. (Bundesrat Mayer: Na geh! – Bundesrat Längle: Na geh, bitte!)

Lassen Sie mich dazu etwas in die Geschichte ausschweifen: Wir hatten einmal ein Toronto-Ziel, daran werden sich manche noch erinnern. Wir als Österreich haben uns dazu bekannt und wir haben versucht, Berichte und so weiter zu machen, um dieses Ziel zu erreichen.

Dann gab es das Kyoto-Ziel, das auch international verbindlich war. Umweltministerin Flemming – die Ressortverantwortung für diesen Bereich ist schon relativ lange bei der ÖVP – hat damals, im Mai 1990, eine Kommission entsprechend der deutschen Enquete-Kommission gegründet. Die Verpflichtung war, minus 20 Prozent CO2 bis 2005 zu erreichen, bezogen auf das Referenzjahr 1988.

Es wurde das Interministerielle Komitee Klima gegründet und es hätten alle Alarm­glocken schrillen müssen, als das Finanzministerium in dieses Komitee gar keinen Vertreter gesandt hat; man ist da ziemlich steckengeblieben. Jahrelang hat man dann ergebnislos einen 15a-Vertrag verhandelt, um zu schauen, wen – Gemeinden, Länder oder Bund – man belastet oder wen man dafür verantwortlich macht, dass nichts weitergeht. Jährliche Emissionsbilanzen hat man für andere Klimagase wie CH4 und N2O gar nicht gezogen, dazu gab es nur Abschätzungen. Quantifizierende Pläne zur Reduktion fehlten.

Man muss dazu rückblickend sagen: Die Bekenntnisse waren immer ambitioniert, die Maßnahmen völlig ungenügend. Seit 2000 ist die wissenschaftliche Beratung der Bundesregierung und der zuständigen Ministerien zur Klimaproblematik zum Erliegen gekommen. Der Wissenschaftliche Beirat für Umweltfragen ist nach 25 Jahren sanft entschlafen. Kyoto ist bis 2013 und dann in die Verlängerung gegangen. Es wurde Bilanz gezogen: Wir hatten 2013 um 60 Prozent höhere Treibhausgasemissionen als in den 1990er-Jahren – von Sparen also gar keine Rede. Die Industriestaaten insgesamt übrigens haben die Ziele erfüllt und auch die EU. Österreich hat sie krachend verfehlt, was 400 Millionen Euro für den Zukauf der entsprechenden Emissionsrechte gekostet hat. (Bundesrat Samt: Das war mehr, Frau Kollegin, das war mehr!)

Auch für die zweite Periode: minus 16 Prozent bezogen auf 2005. Dabei ist 2005 ein für uns tolles Referenzjahr, denn da waren die Emissionen so hoch wie nie. Also auch für diese Periode sind wir nicht on track. Wir haben de facto um keine Tonne reduziert, wir haben die Emissionen mühsamst stabilisiert, und seit den letzten dreieinhalb Jahren sind sie wieder im Steigen.

Das heißt, Österreich hält sehr hartnäckig am mangelnden Umsetzungswillen fest. Dabei wäre Kyoto eigentlich nur eine Aufwärmübung, ein Aufwärmtraining für das, was uns bevorsteht, wenn das 2-Grad-Ziel erreicht werden soll. Es steht uns ein Marathon­lauf bevor. Kyoto hat uns gezeigt, dass wir nicht einmal für ein leichtes morgendliches Training aus dem Bett kommen. – Das ist die Situation.

Sieht man sich im Lichte dessen den Bericht an, so ist zum Thema Umwelt von An­gleichung von Zeitplänen bestimmter Berichterstattungspflichten die Rede. Im Bereich Fahrzeugemissionen zum Beispiel – unser größtes Problem, der Verkehr – kommt es dazu, dass wir Subsidiaritätsrügen im EU-Ausschuss aussprechen, aber nicht, was wir tatsächlich hier in Österreich tun wollen, um zu Senkungen zu kommen.

Meine Damen und Herren, wir müssen bis 2050 in unserer Wirtschaft komplett dekarbonisiert haben, als Industrienation 2030. Das ist das internationale Ziel. Da ist sehr viel weniger Platz, als ich meiner Rückschau hier dargestellt habe.

Es sitzt jetzt eine Partei in der Regierung, die ernsthaft darüber diskutiert, Tempo 140 auf den Autobahnen einzuführen. Wir haben Tempo 80 eingeführt, weil wir eben die Immissionsgrenzwerte in der Luft nicht erreicht haben. (Zwischenruf des Bundesrates Raml.) – Das war der Grund. Die Alternative war, Industriebetriebe nicht mehr zuzulassen, zuzusperren oder die gesamte Autobahn für drei Wochen zu sperren. Das hätte den gleichen Senkungszahlen entsprochen.

Zum Thema Ölheizungen: Jetzt ist davon die Rede, dass man diese ab 2020 irgend­wann einmal doch verbieten wird. Gleichzeitig wird über den Konzern OMV überhaupt nicht geredet, außer wenn er neue Ölfelder gefunden hat, aber darüber, wie es mit diesem Konzern im Lichte der Dekarbonisierung weitergehen soll, herrscht Schweigen im Walde. Wir wissen nichts darüber. Die OMV aber fördert die Initiative „Heizen mit Öl“, das ist im Netz nachzulesen. Der fünfzigtausendste Antragsteller ist gerade gefeiert worden, er konnte sich dort die Förderung für die neue Ölheizung und auch gleich die Ölheizung abholen. – Ich weiß nicht, ich orte da schon eine ziemliche Schizo­phrenie. (Bundesrätin Ecker: Das hatten wir schon!)

Zum Kapitel Chemikalien: In diesem Bereich halte ich die Politik gar nicht mehr für handlungsfähig, wenn wir uns anschauen, dass die EU gerade der Fusion von Monsanto und Bayer zugestimmt hat. 53 Milliarden Euro ist diese Fusion schwer, wobei internationale Investoren das eigentlich nur von einer Hand in die andere schaufeln. Auch die Auflagen sind derart, dass aus Bayer sozusagen ein weiterer inter­nationaler Konzern werden und sich die Zahl der Agrochemiekonzerne international von sechs auf vier reduzieren wird.

Welchen Einfluss diese Konzerne schon derzeit haben, hat die Glyphosatdiskussion auch auf europäischer Ebene ganz klar gezeigt: Anstatt Monsanto und auch Bayer zu zerschlagen und sie in eine Dimension zu bringen, die die Politik und die Länder überhaupt handlungsfähig werden lässt, lässt man sie auch noch fusionieren.

Es findet sich im Bericht kein Wort darüber, was wir mit der chemischen Belastung überhaupt tun wollen. Nehmen Sie etwa die Phthalate: Jeder von uns hier hat diese Weichmacher im Blut, bei Neugeborenen finden Sie im Nabelschnurblut inzwischen 150 toxische Substanzen. Im Bericht steht davon kein Wort, es wird darin lediglich ein Minipaket Abfall geschnürt. So geht man mit diesen Problemen um!

Zur Kohäsionspolitik: Es steht auch sehr entlarvend im Bericht, dass vom öster­reichi­schen EU-Ratsvorsitz keine größeren inhaltlichen Beiträge beziehungsweise Weichen­stellungen in Richtung einer territorialen Agenda 2020 intendiert sind. Man wird also während des EU-Ratsvorsitzes nichts machen und nichts einführen.

Mein Vorredner hat schon kurz zu Naturschutz und Biodiversität gesprochen. Meine Damen und Herren, bevor der heutige Tag vergangen sein wird, werden mindestens weitere 30 Arten ausgestorben sein. Täglich sterben zwischen 30 und 160 Arten aus.

Das Insektensterben war ebenfalls Thema: In deutschen Naturschutzgebieten, die untersucht wurden, hat man in den letzten 30 Jahren 75 Prozent der gesamten Bio­masse an Insekten verloren. Das ist ganz klar ersichtlich, Sie brauchen die Scheibe Ihres Autos heute nicht mehr zu putzen, wenn Sie von Salzburg nach Wien fahren, oder in der Autowaschanlage könnte man auch denjenigen, der früher die Scheiben geputzt hatte, abschaffen. Es gibt diese Insekten nicht mehr. Was das fürs Ökosystem heißt, da ja Insekten die Futtergrundlage für Vögel und Amphibien sind, brauche ich, glaube ich, hier nicht auszuführen.

Es gibt diesbezüglich Langzeitstudien, die besagen: Wir haben in Salzburg in den letzten Jahren 83 Prozent der Grasfrösche verloren, der Hauptart bei den Amphibien. Wir haben laut einer oberösterreichischen Untersuchung bei Vögeln zwischen 33 Pro­zent und 80 Prozent der Bestände verloren. Und im Bericht steht darüber: Hauptur­sachen des Biodiversitätsverlustes werden wir bekämpfen. Es steht nichts darüber drinnen, wer, wie und wann, sondern nur, dass zahlreiche internationale Konferenzen stattfinden werden, aber nicht, wie sich Österreich in diesem Zusammenhang positio­niert.

Wir kennen die Hauptschuldigen, wir wissen, es ist die Landwirtschaft, es sind Ge­bietsverluste – meine Redezeit geht zu Ende und die Probleme in der Landwirtschaft, die viele schon für nicht mehr reformierbar halten, der Verlust von Betrieben in diesem Bereich. Die Biobauernrate stagniert in Salzburg seit vielen Jahren; darauf kann ich jetzt aber nicht mehr eingehen.

Einer meiner Wünsche wäre ja zum Beispiel, dass die Lebensmittelkennzeichnung verändert wird. Es sollte nicht draufstehen: Bioapfel!, sondern es sollte, im umge­kehrten Fall, draufgeschrieben werden: Vorsicht, dieser Apfel wurde 32 Mal gespritzt!, oder: Vorsicht, dieses Fleisch ist höchstwahrscheinlich mit Antibiotika belastet! Das Einkaufsverhalten würde sich dann wahrscheinlich sehr schnell ändern.

Auch den Bereich Energie muss ich jetzt auslassen. Diesen Bereich betreffend gibt es gar keine Festlegungen in diesem Bericht, außer – dankenswerterweise – was Atom­kraftwerke angeht. Es wird aber nur gesagt, dass es acht Legislativdossiers im Ener­giebereich gibt, und es wird der Verhandlungsstand vorgestellt, nicht aber, wie wir uns diesbezüglich positionieren werden, dabei sinken der Anteil der Erneuerbaren und die Investitionen in Erneuerbare in ganz Europa. Man ist auf dem besten Weg, diesen Industriezweig in Europa und auch in Österreich zu ruinieren, aber in dem Bericht steht nichts darüber, dass die österreichische Präsidentschaft etwas dagegen tun würde.

Lassen Sie mich nur noch ein Resümee aus dem Ganzen ziehen – und dieses Resü­mee ist traurig und erschütternd –: Die Zerstörung unserer Lebensgrundlage ist aus wirtschaftlichen Gründen unverzichtbar. Ein Überleben der Menschheit können wir uns im Interesse des Wirtschaftswachstums nicht leisten. – Diesen Geist atmet dieser Bericht.

Das ist ein trauriges Resümee, das sage ich auch nach so vielen Jahren politischer Tätigkeit, und ich hoffe, es gelingt noch irgendjemandem, das Ruder herumzureißen. Ich werde mich sicher in einen Unruhestand begeben, aber auch traurig sein über jedes Gramm CO2, das in die Erstellung eines solchen Berichts geflossen ist. – Danke. (Beifall der BundesrätInnen Dziedzic und Stögmüller sowie bei der SPÖ.)

13.02

Vizepräsident Ewald Lindinger: Danke. – Frau Kollegin Heidelinde Reiter, du hast ein bewegtes politisches Leben hinter dir, fast 30 Jahre lang hast du von der Kom­munalpolitik über den Salzburger Landtag bis – die letzten fünf Jahre – hier im Bundes­rat deine Beiträge geleistet. Ich bedanke mich für deine Arbeit, für deine Beiträge hier im Bundesrat. Wir wünschen dir alles Gute für die Zukunft und viel Kraft. (Allgemeiner Beifall.)

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Gerd Krusche. Ich erteile ihm dieses.