11.59.12

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Hohes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseher und Zu­se­herinnen! Wir diskutieren jetzt also drei Bildungsthemen, nämlich im Großen und Ganzen die Deutschförderklassen, die Strafen beim Fernbleiben vom Unterricht und Verzögerungen bei der Einführung der modularen Oberstufe. Ich werde in meinem Beitrag auf das Thema der Deutschförderklassen fokussieren. (Vizepräsident Lindinger übernimmt den Vorsitz.)

Ich möchte meine Ausführungen mit jenen Punkten beginnen, bei denen ich eine Übereinstimmung, eine Einigkeit hier im Bundesrat finden konnte, weil ich damit auch unterstreichen möchte, dass es mir speziell um eine gute Lösung zugunsten unserer Kinder geht. 

Ich denke, wir alle hier sind uns einig, dass es gut für jedes Kind ist, wenn es die deutsche Sprache beherrscht, und wir alle wissen mittlerweile, dass mehrsprachige Kinder Deutsch als Zweitsprache besser lernen, wenn sie auch ihre Muttersprache gut beherrschen.

Ein zweiter Punkt, bei dem ich zu wissen glaube, dass Einigkeit herrscht, ist, dass wir allen Kindern im September einen möglichst guten, positiven, erfreulichen Schulstart wünschen.

Ich glaube, ein dritter Punkt, bei dem wir uns einig sind, ist, dass wir allen Päda­go­gInnen, die diese sehr wertvolle Arbeit machen, nämlich unseren Kindern eine gute Bil­dung zu ermöglichen, gute Arbeitsbedingungen für einen der wahrscheinlich wich­tigsten Jobs dieser Welt wünschen.

Ein vierter Punkt, bei dem ich Einigkeit vermute, aber nicht mehr so ganz sicher bin, ist, dass wir doch wohl alle wollen, dass sich Kinder, die in dieses Bildungssystem ein­steigen, möglichst schnell und gut integrieren können und einen guten Platz, einen eigenen Platz in unserer Gesellschaft und in diesem Bildungssystem finden und damit möglichst schnell auch Teil dieser Gesellschaft werden. Wie gesagt, ich bin mir nicht mehr ganz so sicher, ob das wirklich alle von uns so wollen.

Jetzt komme ich aber natürlich auch zu den Unterschieden und möchte voraus­schicken: Ich bin in meinem Grundberuf Pädagogin und gelernte Sonder- und Heilpädagogin. Das heißt, ich beschäftige mich in meiner beruflichen Tätigkeit mit jenen Kindern, bei denen aufgrund von körperlichen Merkmalen oder psychischen, geistigen, sozialen, aber auch sprachlichen Merkmalen ein besonderer Förderbedarf besteht, bei denen eine besondere Unterstützung notwendig ist. Wir wissen in der Pädagogik aber auch, dass jedes Kind eines Jahrganges, egal mit welchen besonderen Merkmalen es in das Bildungssystem eintritt, sich von jedem anderen Kind seines Jahrganges unter­schei­det. Das heißt, jedes Kind ist unterschiedlich: Jedes Kind besitzt besonderes Potenzial und besondere Stärken, jedes Kind hat aber auch in einem bestimmten Bereich eine gewisse Anregung und Förderung notwendig, und das ist gut so.

Im Idealfall gelingt es uns, durch unser Bildungssystem – beginnend natürlich mit dem Kindergarten, das ist mir sehr wichtig – dieses spezielle Potenzial, das jedes Kind hat, bestmöglich herauszuarbeiten und zur Entfaltung zu bringen und seine Chancen dadurch, dass wir es in den Mittelpunkt unseres Tuns stellen, zu erhöhen. Dass das in Gruppen und Klassen mit 25 Kindern so gut wie unmöglich ist, wissen alle, die in der Pädagogik arbeiten; auch dass es als einzelne Pädagogin oder als einzelner Päda­goge schwierig ist, die Kinder in einer so großen Gruppe bestmöglich individuell zu fördern, wissen wir. Langer Rede kurzer Sinn: Wir brauchen eigentlich mehr Ressourcen in den Klassen und in den Gruppen. Wir brauchen mehr Zeit für die Kinder. Wir brauchen kleinere Gruppen, kleinere Klassen, um das Potenzial eines jeden Kindes wirklich entfalten zu können. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Was aber jetzt passiert – und da setzt meine Sorge an –, ist Folgendes: Es wird nicht geschaut, dass alle Kinder bessere Lernbedingungen haben, sondern es wird ver­sucht, aufgrund eines einzelnen Merkmals, nämlich der Sprache, zu separieren – ohne wirklich mehr Ressourcen, relativ überhapps und ohne seriöse Vorbereitung, und da­durch soll alles besser werden. Das stelle ich infrage (Bundesrat Steiner: Euer Bil­dungssystem ist gescheitert!), denn diese völlig neue Klassenstruktur, die wir ab Sep­tember haben sollen, wird jetzt vorbereitet, und wir befinden uns einen Monat vor Schulschluss und damit drei Monate vor dem neuen Schulstart.

Wir haben derzeit noch keine offizielle Information für unsere PädagogInnen und LehrerInnen. Wir haben noch nicht die Gewissheit darüber, wie viele Klassenräume in welchen Schulen tatsächlich gebraucht werden. Wir haben noch kein Curriculum für diese Deutschklassen, die im Herbst (Bundesrätin Mühlwerth: Na und? Das haben wir bei euch letztes Mal auch nicht gehabt! Ihr habt nicht einmal einen Lehrplan gehabt!), wie gesagt, im September, starten sollen. Wir haben noch keine seriöse Sprachtestung für diese Kinder, und aufgrund wovon sie jetzt eingeteilt und separiert werden, das wis­sen wir nicht genau. Ich finde das ehrlich gesagt etwas fahrlässig unseren PädagogIn­nen gegenüber, die das umsetzen sollen, aber in erster Linie natürlich auch den Kin­dern und ihren Eltern gegenüber.

Ich möchte Sie einladen, sich das jetzt einmal in der Praxis vorzustellen. Wir haben ein Vorschulkind, und dieses Kind und seine Familie haben vor ungefähr einem Monat einen Brief von der Schule bekommen, in dem mitgeteilt wurde, dass es den Schulplatz hat. Die Lehrerin stellt sich vor; es erfährt, mit welchen Kindern es in der Klasse sein wird. Dieser Tage finden die ersten Klassenabende statt. Die neue Lehrerin lädt die Eltern, vielleicht auch die Kinder ein. Man lernt sich kennen. Man bereitet sich auf den Schuleintritt vor. Die Kinder freuen sich hoffentlich den ganzen Sommer; sie werden Schulkinder, sie sind stolz. Und dann kommt möglicherweise so ein Kind am ersten Tag in die Schule, geht zu seiner Lehrerin, und die muss ihm sagen: Du bist leider doch nicht in meiner Klasse, denn du gehörst nicht zu den Normalen, sondern du musst leider in diese andere Klasse – aber in Turnen und in Musik darfst du dann schon auch bei uns sein! (Zwischenruf des Bundesrates Schuster.)

Also das muss man sich für dieses einzelne Kind vorstellen, was das ausmacht, diesen Stempel am ersten Schultag zu bekommen. Wie wird man denn so einen Stempel wieder los? (Ruf bei der FPÖ: Indem man Deutsch lernt! – Bundesrätin Mühlwerth: Geh bitte, was für ein Stempel?) Immer wird man das Kind sein, das am Anfang in dieser separaten Klasse sein musste.

Glauben Sie wirklich, auch Sie, Herr Minister, glauben Sie das wirklich, dass Kinder unter Kindern, die nicht gut Deutsch sprechen, besser Deutsch lernen als in einer Klasse, in der gut Deutsch gesprochen wird? – Wir alle wissen, dass man unter Native Speakern eine Sprache besser erlernt als unter Nicht-Native-Speakern und Menschen, die diese nicht gut beherrschen. (Bundesrätin Mühlwerth: Ja, das geht, wenn zwei oder drei in einer Klasse sind, aber nicht bei 98 Prozent!)

Selbst der Experte, der von der ÖVP nominiert wurde, hat im Ausschuss in dem Hearing, das stattgefunden hat, deponiert, dass von diesen drei Möglichkeiten, Sprache zu fördern, die gewählte Variante die am wenigsten Erfolg versprechende ist – nämlich die separierende. Alle ExpertInnen und ganz viele Stellungnahmen haben dies auch betont, und auch aus dem internationalen Vergleich weiß man, dass die separierende Methode von den drei möglichen Methoden die am wenigsten Erfolg versprechende ist. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Mayer: Weil die andere bisher nicht funktioniert hat!) – Es hat leider die Evaluierung der bestehenden Modelle nicht stattgefunden. Das heißt, wir wissen es einfach nicht, ob die Förderung (Bundesrätin Mühlwerth: Zehn Jahre!), die Sprachförderung der letzten Jahre, funktioniert hat. (Bundesrätin Mühlwerth: Seit zehn Jahren Unterrichtsminister! Seit zehn Jahren sozialistische Unterrichtsminister! – Bundesrat Rösch: Seit zehn Jahren untätig!)

Zum Schluss möchte ich noch sagen: In diesem Parlament sind Kinderrechte gemäß Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen beschlossen und ratifiziert worden. Darin ist festgeschrieben, dass jedes Kind ein Recht auf Nichtdiskriminierung hat, dass jedes Kind ein Recht auf seine eigene Muttersprache hat, dass jedes Kind ein Recht auf Bildung hat, und in unserer Verfassung steht, dass bei allen Belangen und Entscheidungen das Kindeswohl vorrangig zu prüfen ist. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Ich möchte Sie, Herr Minister, gerne noch einmal ersuchen, zu über­prüfen, ob diese Kinderrechte tatsächlich gewahrt sind.

Ich würde Ihnen zum Schluss noch gerne eine Stellungnahme, die mir besonders ins Auge gesprungen ist, aus einer Volksschule in Oberösterreich mitgeben, in der offen­sichtlich ein Weg gefunden worden ist, wie man die Sprachförderung in einer inte­grativen Form macht. Ich finde, es ist ein Best-Practice-Beispiel dafür, wie es gelingen kann, von dieser Schule kann man sich offensichtlich etwas abschauen. Das würde ich Ihnen gerne mitgeben. – Herzlichen Dank. (Anhaltender Beifall bei der SPÖ sowie der BundesrätInnen Dziedzic und Stögmüller. – Bundesrätin Gruber-Pruner überreicht Bundesminister Faßmann ein Schriftstück.)

12.08

Vizepräsident Ewald Lindinger: Frau Bundesrätin Klara Neurauter ist zu Wort gemel­det. Ich erteile dieses.