10.38.07

Landeshauptmann von Wien Dr. Michael Ludwig|: Sehr geehrter Herr Präsident! Hoch­geschätzte Mitglieder des Bundesrates! Ich freue mich sehr, dass ich heute hier sein darf, und auch, dass unsere Debatten von vielen Österreicherinnen und Öster­reichern im Internet verfolgt werden.

Ganz besonders aber freue ich mich, dass wir immer auch Besucherinnen und Be­sucher auf der Galerie haben, heute, soviel ich weiß, von ProWelios, einem Förder­verein aus Oberösterreich. Das ist ein schönes Zeichen dafür, dass die Sitzungen des Bundesrates in allen Bundesländern Gehör finden. Ich habe mich sehr darüber gefreut, als erst vor zwei Wochen der Ball der Oberösterreicher im Wiener Rathaus statt­gefunden hat. Als Bundeshauptstadt ist es uns immer eine besondere Ehre, wenn wir Besucherinnen und Besucher aus den anderen acht Bundesländern bei uns haben. – Somit herzlich willkommen! Sie werden sicher einen tollen Eindruck auch von der Debatte hier im Bundesrat gewinnen, der sich im Übrigen an einem nur vorüber­ge­henden Standort befindet.

Der Bundesrat als zweite Kammer tagt sonst immer im Parlamentsgebäude und ist aufgrund der Sanierung hier. Ich kann mich aber gut erinnern – nicht aus eigenem Erlebnis, sondern durch Nachlesen in Büchern –, dass es schon bei der Republiks­gründung und bei der Abfassung der Bundesverfassung im Jahr 1920 die Idee gegeben hat, den Bundesrat hier in der Hofburg zu verorten. Von daher ist es kein ungewöhnlicher Ort, ein etwas anders ausgestalteter als im Parlamentsgebäude, aber trotzdem ein sehr sinnvoller, der auch eine gewisse historische Bewurzelung hat.

Ich persönlich freue mich sehr, dass ich wieder hier sein darf, wieder deshalb, weil ich einen Teil meines politischen Lebens hier im Bundesrat verbracht habe. Nur noch die beson­ders Routinierten unter uns können sich an diese Zeit erinnern: Es war vom Jänner 1996 bis September 1999. Seit damals hat es viele, auch personelle Verän­derungen im Bundesrat gegeben, was ich immer mit einem weinenden und einem lachendem Auge sehe; weinend, weil immer Neue in den Bundesrat kommen und manche eben nicht mehr. Denen, die man nicht mehr sieht, begegnet man häufig sonst wo in der politischen Landschaft. Ich bin sehr froh darüber, dass aus dem Bundesrat kommend viele nicht nur im Nationalrat tätig sind, sondern auch in den Ländern, in den Landtagen, in Landesregierungen und oft auch als Bürgermeister. Und egal, mit wem man spricht, eine Vergangenheit im Bundesrat ist immer Gegenstand einer sehr po­sitiven Erinnerung. Diese Bewertung teile ich auch, und zwar deshalb, weil ich den Eindruck gewonnen habe, dass es im Bundesrat leichter möglich ist, sich über Frak­tionsgrenzen hinweg mit Sachthemen zu beschäftigen.

Das hängt, denke ich, auch damit zusammen, dass man sich nicht in direkter politi­scher Konkurrenz zueinander befindet, weil die für die Verteilung der Mandate ent­scheidenden Wahlen die Landtagswahlen sind, und das macht vielleicht auch einen Teil des besonderen politischen Klimas im Bundesrat aus. Ich sehe darin eine große Chance, sich stärker an Sachfragen zu orientieren und vielleicht nicht so stark wie in anderen Bereichen der Politik die unmittelbare, oft ideologische Auseinandersetzung zu suchen, sondern eben oft auch gemeinsame Lösungen, was ja auch der Umstand anzeigt, dass viele Beschlüsse im Bundesrat gemeinsam gefasst werden.

Vieles hat sich hier im Bundesrat geändert: Zu meiner Zeit hat es noch keine gläsernen Rednerpulte gegeben, wie ich sie jetzt bestaunen durfte. In der technischen Aus­stattung gibt es viel Neues. Was erhalten geblieben ist, ist die hohe Kompetenz der Bundesratsdirektion, die ich auch damals schon sehr geschätzt habe. Es ist sehr, sehr positiv, dass die Mitglieder des Bundesrates eine entsprechende Unterstützung durch die Bundesratsdirektion genießen, und wir diskutieren auch immer wieder darüber, wie man die Mitglieder des Bundesrates durch räumliche, personelle und sonstige organi­satorische Maßnahmen noch stärker unterstützen könnte. Für mich ist der Bundesrat eine der ganz zentralen und wichtigen Einrichtungen der Bundesgesetzgebung und eine spannende Verbindung in die Bundesländer und damit wichtiger Teil unseres bun­desstaatlichen Aufbaus.

Für mich gibt es im Wesentlichen zwei Aspekte, die für die positive Entwicklung unse­rer Zweiten Republik verantwortlich sind. Herr Bundesratspräsident Todt hat schon dar­auf hingewiesen, dass der Start der Zweiten Republik nach einem furchtbaren Zweiten Weltkrieg und einem menschenverachtenden Regime erfolgt ist und dass es für diese Zweite Republik wichtig war, eine neue, nicht nur materielle Basis, sondern vor allem auch eine inhaltliche, politische Grundlage zu schaffen. Für mich gehören vor allem der Föderalismus und die Sozialpartnerschaft dazu. Beides sind ganz wichtige Bereiche, die sicherstellen, dass wir die bisherige erfolgreiche Entwicklung unseres Landes, die sehr viel wirtschaftliche und soziale Stabilität erbracht hat, auch in Zukunft fortsetzen können.

Die Sozialpartnerschaft ist ein ganz wichtiges Instrument, das man nicht nur in Sonn­tagsreden vor sich her tragen, sondern auch leben sollte. Eine Voraussetzung ist, dass sich die Sozialpartner auf Augenhöhe begegnen. Sie ist auch ein wichtiges Instrument, die Jugend zu begeistern. Ich bin deshalb immer ein starker Unterstützer der soge­nannten Jugendvertrauensräte gewesen, die sicherstellen, dass sich junge Menschen in einem Unternehmen einbringen, ihre Interessen vertreten können, nicht nur ihre individuellen, sondern sich auch für andere junge Menschen in einem Betrieb ein­setzen können, und dadurch auch lernen, was Demokratie ist und wie man Interes­senvertretung umsetzt. Von daher wäre die Abschaffung der Jugendvertrauensräte ein Schlag nicht nur gegen die Jugendpolitik, sondern auch gegen die gesamte Demo­kra­tie­erziehung. (Beifall bei der SPÖ, bei BundesrätInnen der ÖVP sowie der Bundes­rätInnen Dziedzic und Stögmüller.)

Die Sozialpartnerschaft ist eine österreichische Besonderheit, die wir vielleicht deshalb gar nicht mehr so schätzen, weil wir sie gewohnt sind. Das wird deutlich, wenn wir Stimmen aus anderen Ländern hören. Ich habe erst vor Kurzem einen Industriellen für seine Leistungen für das Land Wien mit einer der höchsten Auszeichnungen geehrt, die wir zu vergeben haben. Das Besondere an der Veranstaltung war, dass der Be­triebsrat seines Unternehmens die Laudatio gehalten hat. Und in der Dankesrede hat der Industrielle gesagt, in seinem ursprünglichen Heimatland Frankreich wäre es undenkbar, dass der Betriebsrat die Laudatio hält, wenn der Eigentümer, der Indus­trielle eine offizielle Auszeichnung bekommt. Er hat gesagt, dass das schon etwas ganz Besonderes in Österreich ist und dass man sich das auch erhalten sollte. Fast zeitgleich gab es in Frankreich in einem Unternehmen, das ihm auch sehr nahe war, eine Besetzung; aufgebrachte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben die Fabrik besetzt und das Management und den Eigentümer über mehrere Tage festgehalten. Erst der Einsatz der Polizei konnte diesen Arbeitskonflikt regeln. Das geschah natürlich nicht in sozialer Harmonie, wie man sich vorstellen kann; und man kann sich auch vorstellen, wie die Stimmung in diesem Betrieb in der Folge sein wird.

Von daher ist es schon wichtig, dass wir all das erhalten, was wir über Jahrzehnte positiv aufgebaut haben. Das heißt nicht, dass es nicht auch Veränderungen geben soll. Alles muss sich verändern, alles muss sich verbessern, keine Frage! Organisa­tio­nen müssen sich verjüngen, sich der Zeit anpassen, das ist unbestritten. Die Struktur jedoch, die wir in Österreich gewohnt sind und die auch nicht von selbst entstanden ist, sondern durch viele Verhandlungen und oft auch durch Nachgeben und Aufgabe eigener Positionen, ist doch ein wertvolles Gut.

Ich versuche, das in Wien zu leben. Wir haben in Wien nicht nur ein sehr gutes Einvernehmen der Sozialpartner auf betrieblicher Ebene, sondern auch im Rahmen der Stadt: zwischen Gewerkschaften, Arbeiterkammer, aber auch Wirtschaftskammer, die sich bei uns in Wien in verschiedenen Einrichtungen wie der Wirtschaftsagentur, dem Wohnfonds und vielem anderen mehr sehr stark einbringen kann. Ich beziehe da ganz bewusst immer auch die Landwirtschaftskammer ein. – Jetzt werden Sie fragen: Land­wirtschaftskammer, ist das in einer Großstadt wie Wien relevant? – Wenn ich Ihnen sage, dass 14 Prozent der gesamten Fläche Wiens landwirtschaftlich genutzt wird, wird Sie das erstaunen. Das gibt es in keiner anderen Millionenstadt. Das betrifft nicht nur die von mir sehr geschätzten Weinberge. Ich habe erst vorgestern den Wiener Wein­preis vergeben, und ich kann Ihnen sagen - - (Der Redner vollführt eine Geste des Genusses. – Allgemeine Heiterkeit und allgemeiner Beifall.)

Es ist nicht nur quantitativ eines der besten Jahre der letzten Jahrzehnte, sondern auch qualitativ. (Zwischenruf bei der ÖVP.) – Richtig! Der Einwand ist berechtigt, ich hätte etwas mitbringen können, aber das holen wir bei anderer Gelegenheit nach. (Allge­meine Heiterkeit.) Ich darf das vielleicht der neuen Präsidentin anbieten: Das Wiener Rathaus steht für die Mitglieder des Bundesrates immer offen. Vielleicht ist es möglich, den Bundesrat einmal ins Wiener Rathaus einzuladen, damit wir gemeinsam den Wiener Wein verkosten. (Beifall bei SPÖ und ÖVP, bei BundesrätInnen der FPÖ sowie der BundesrätInnen Dziedzic und Stögmüller.) Ich habe das beste Einvernehmen mit dem Burgenland sowie insgesamt mit der Ostregion. Wien, Niederösterreich und das Burgenland bilden ja eine ganz dynamische Wirtschaftsregion, und vielleicht ist gerade die Übergabe des Vorsitzes von Wien an das Burgenland ein guter Anlass, eine solche gemeinsame Verkostung durchzuführen.

Wir haben aber in Wien nicht nur sehr guten Wein und damit auch Weinberge, die wir besonders schützen, weil sie auch ganz wichtige Naherholungsgebiete sind, sondern wir können uns auch fast autark mit Gemüse versorgen, und das ist schon eine Be­sonderheit für eine Millionenstadt und nur deshalb möglich, weil wir mit der Landwirt­schaftskammer ein sehr, sehr gutes Einvernehmen haben. Es gibt natürlich in einer Großstadt wie Wien, in einer sehr lebenswerten Großstadt wie Wien auch immer Vertei­lungsdiskussionen, vor allem auch über Grundstücke. Grundstücke sind in einer Stadt mit festgelegten Grenzen nicht vermehrbar, daher bemühe ich mich sehr, einen guten Weg zu finden zwischen der Festlegung von Wohnbereichen mit dem damit verbundenen Grün- und Freiraum, Arbeitsstätten, wobei wir sehr eng mit Wirtschafts­kammer und Industriellenvereinigung im Rahmen eines festgelegten Standortpro­gramms zusammenarbeiten, aber eben auch Flächen für die Landwirtschaft, der wir auch in Zukunft die Möglichkeit bieten wollen, sich entsprechend zu entwickeln, Arbeitsplätze zu sichern und die Bevölkerung mit wertvollem, ökologisch nachhaltig erzeugtem Gemüse zu versorgen.

Für mich ist also wichtig, dass wir die Sozialpartnerschaft leben. Ich werde in Wien demnächst zu einem Sozialpartnergipfel einladen, um mit den Sozialpartnern künftige programmatische Festlegungen vorzunehmen.

Ich möchte zum Thema Föderalismus noch einige Anmerkungen machen, und das sage ich nicht nur, weil ich jetzt hier vor Ihnen im Bundesrat spreche, sondern weil ich überzeugt davon bin, dass der Föderalismus zu Österreich gehört wie die Sozialpart­nerschaft. Der Föderalismus bietet viele Vorteile. Auch hier gilt: Nicht alles ist in Stein gemeißelt. Man kann auch im Rahmen des Föderalismus die Umverteilung von Kom­petenzen – mit bundesstaatlichen Einrichtungen – andenken. Das ist für mich selbst­verständlich. Wir leben in einer Demokratie, in einem Organismus, vieles muss sich neu definieren, vieles muss sich neu finden, aber prinzipiell ist es wichtig, dass wir auf dem Föderalismus bestehen.

Ich bin heute bei Ihnen als Landeshauptmann und Bürgermeister von Wien, aber ich bin derzeit auch der amtierende Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz, und ich bin neu gewählter Präsident des Österreichischen Städtebundes. Der Österreichische Städtebund ist gemeinsam mit dem Gemeindebund ein ganz wichtiges Instrument, um der Bevölkerung Gehör zu verschaffen und darüber nachzudenken, welche Interessen die Bevölkerung im kleinteiligen Bereich hat. Städtebund und Gemeindebund haben ein sehr gutes Einvernehmen, weil wir diese Interessen vertreten und auch sehen, welche Herausforderungen auf uns zukommen.

Es wird wichtig sein, diesen Föderalismus so zu leben – ich habe das schon im Zusam­menhang mit der Sozialpartnerschaft angesprochen –, dass man auf Augenhöhe mit­einander verkehrt. Das sage ich auch in Richtung der bundesstaatlichen, auch der gesetzgebenden Einheiten. Wenn es jetzt beispielsweise um die neue Arbeitszeit­regelung geht, ist der parlamentarische Diskurs doch weitgehend eingeschränkt, allein schon vom zeitlichen Rahmen her. Ich hätte mir gewünscht, dass es mehr Zeit für die­sen Diskurs gibt. Man hätte sich da manche Diskussionen, die jetzt auf der Straße geführt werden, ersparen können. Es ist gerade auch im parlamentarischen Diskus­sions­prozess wichtig, dass wir definieren, was die Herausforderungen sind und wie wir diese gemeinsam bewältigen können, und das sehe ich auch bei diesem Thema doch weitgehend eingeschränkt. Mehr Diskussion im parlamentarischen Raum wäre sicherlich sinnvoll gewesen. (Beifall bei der SPÖ, bei BundesrätInnen von ÖVP und FPÖ sowie der BundesrätInnen Dziedzic und Stögmüller.)

Wir haben in diesem Zusammenhang, wie ich meine, auch als Städte, Gemeinden und Länder durchaus Fragen, die zu klären sind. Wenn es eine ausgedehntere Arbeitszeit gibt – und da lasse ich jetzt einmal außer Acht, ob das jetzt freiwillig oder unfreiwillig erbracht wird –, gibt es natürlich auch für uns im Rahmen des Föderalismus schon weiterführende Fragen, zum Beispiel jene der Kinderbetreuung, die natürlich sehr stark in unserem Kompetenzbereich liegt. Und es stellt sich die Frage: Wie wird sich das auf berufstätige Menschen, vor allem Frauen, auswirken. Ich sage damit nicht, dass Kindererziehung automatisch Frauensache ist. Es ist aber in der Praxis immer noch so, dass Frauen in einem viel stärkeren Ausmaß bei der Kindererziehung mitwirken, dadurch aber eine geringere Möglichkeit haben, im Berufsleben darauf zu achten, dass sie einmal eine Pension in einer Höhe haben, von der sie allein werden leben können. Das sind Themen, die oft wie Zahnräder ineinandergreifen: Wenn man eine Maßnah­me trifft, muss man beachten, was man damit in anderen politischen Feldern auslöst, die man auf den ersten Blick vielleicht gar nicht so sehr damit in Verbindung bringt.

Ich habe mir jetzt zum Beispiel die Kindertagesheimstatistik der Statistik Austria ange­schaut: Von den 9 267 Kinderbetreuungseinrichtungen haben österreichweit nur 993 mehr als zwölf Stunden geöffnet. Das ist natürlich schon eine sehr starke Einschrän­kung für jene, die jetzt schon Schwierigkeiten haben, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Es muss uns bewusst sein, dass das durch Regelungen, die die Arbeitszeit flexibler gestalten, schwieriger werden wird, und das ist schon eine Herausforderung für die Bundesländer, Städte und Gemeinden. Von daher macht es Sinn, dass wir uns in diese Diskussion einmischen und auf diese Auswirkungen aufmerksam machen.

Es wird daher die Finanzierung des laufenden Betriebs und einer Ausweitung des Ser­vices notwendig sein, um den Veränderungen in der Arbeitswelt Rechnung zu tragen. Das wird nicht nur in den Bundesländern, sondern auch im Österreichischen Städte­bund Diskussionen verursachen, denn mit Ende des Jahres 2018 laufen mehrere so­genannte 15a-Vereinbarungen aus, die sich mit Kinderbetreuung beschäftigen. Die­se 15a-Vereinbarungen, die zwischen Bund und Ländern abgeschlossen werden, werden neu zu verhandeln und zu definieren sein. Daher ist die Maßnahme, die jetzt vom Bundesgesetzgeber angedacht wird, eine, die uns in den Bundesländern inter­es­sieren muss.

Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der ebenfalls starke Auswirkungen auf die Länder haben wird, das ist die derzeitige Diskussion über die Mindestsicherung. Die Mindestsicherung stellt, wenn man so will, das letzte soziale Netz für jene Menschen dar, die aus welchen Gründen auch immer in Schwierigkeiten kommen, und das müs­sen gar keine besonderen wirtschaftlichen oder persönlichen Schwierigkeiten sein. Bei uns in Wien sind der Großteil, etwa 75 Prozent jener Menschen, die Mindestsicherung bekommen, sogenannte Aufstocker, die entweder eine zu niedrige Pension haben oder mit ihrer beruflichen Tätigkeit nicht das Niveau der Mindestsicherung erreichen und des­halb einen Differenzbetrag ausbezahlt bekommen. Es wird sichergestellt werden müssen, dass in unseren Bundesländern, in den Städten und Gemeinden niemand hungern muss, niemand frieren muss, niemand obdachlos sein muss. Daher bin ich immer dafür gewesen, dass es eine österreichweite Regelung gibt, weil es auch im Sinne aller Bundesländer ist, dass wir uns nicht wechselseitig in eine Konkurrenz­situ­ation begeben.

Wir sollten aber auch gemeinsam darüber nachdenken, wie sich die Menschen vor allem in den Städten beispielsweise die Mieten leisten können. Ich bin da durchaus in einem sehr kreativen Dialog mit den anderen Landeshauptleuten, um eine Regelung finden zu können, die sicherstellt, dass eben keine Menschen mehr von Obdach­losig­keit bedroht sind. Das ist ein Thema, das jene Menschen beschäftigt, die am Arbeits­markt besonders unter Druck kommen, aber nicht nur, sondern auch Pensionistinnen und Pensionisten beispielsweise, Familien mit mehreren Kindern. Wenn das umgesetzt wird, was derzeit vom Bundesgesetzgeber angekündigt wird, so wird das für über hun­dert­tausend Menschen eine spürbare Veränderung mit sich bringen und dann natürlich auch entsprechende Auswirkungen haben und in den Bundesländern, aber auch in den Städten die Notwendigkeit erzeugen, darauf zu reagieren.

Ein ganz wichtiges Thema hat Herr Bundesratspräsident Todt auch angesprochen, nämlich jenes der Bildung. Wir wissen, dass wir im internationalen Wettbewerb nur bestehen können, wenn unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entsprechende Qualifikationen mitbringen. Bildung, das sei dazugesagt, sollte nicht ausschließlich nur der Präsenz am Arbeitsmarkt dienen, sondern auch die Möglichkeit eröffnen, sich als Individuum in einer Demokratie einbringen und diese mitzugestalten zu können. Natür­lich ist für uns im internationalen Wettbewerb die Stärkung des Wirtschaftsstandortes Österreich wichtig, also dass wir qualifizierte Beschäftigte haben. Unsere Zukunft liegt nicht in rauchenden Schloten, unsere Zukunft liegt selbstverständlich in Ideen, in Patenten, in dem, was die Menschen aus ihren Köpfen hervorbringen. Daher wird all das, was wir in der Schulbildung durchsetzen, um freie, selbstständige und kritikfähige Staatsbürgerinnen und Staatsbürger heranziehen zu können, ganz wichtig sein.

Dazu gehört selbstverständlich die deutsche Sprache, die eine wichtige Voraussetzung ist, um am Arbeitsmarkt bestehen zu können. Wir in Wien waren immer dafür, jenen, die zu uns kommen, Deutsch sehr schnell, und zwar ab der ersten Stunde zu vermit­teln. Wir legen aber auch besonderes Gewicht auf die individuelle Förderung, schauen, welche Stützungsmaßnahmen Schülerinnen und Schüler benötigen, um möglichst rasch mithalten zu können.

Wir bemühen uns gezielt, Österreich zu einem gesamteuropäischen Zentrum des Wis­sens zu machen, und das nicht nur in der Primarbildung, sondern auch beim lebens­begleitenden Lernen. In diesem Zusammenhang möchte ich die Volkshochschulen in besonderer Weise hervorheben. Ich weiß, dass gerade in den Bundesländern die Volkshochschulen neben den berufsbildenden Erwachsenenbildungseinrichtungen wie BFI und Wifi als ganz wichtige und an der Basis befindliche Institutionen tätig sind.

Das Wichtige an Schulen ist natürlich immer die Qualität der Lehrerinnen und Lehrer, die Motivation der Lehrkräfte. Eine Schulorganisation kann noch so gut vorbereitet und durchdacht sein, das Wichtige in der Klasse sind immer hoch motivierte Lehrerinnen und Lehrer, und ich möchte es nicht verabsäumen, allen im Lehrberuf Tätigen von hier aus ganz herzlich zu danken. (Allgemeiner Beifall.)

Abschließend vielleicht noch ein Thema, das Präsident Todt zum Schwerpunkt seiner Präsidentschaft gewählt hat, nämlich die Digitalisierung. Es ist noch nicht allen in der Bevölkerung bewusst, welche tiefgreifende Veränderung diese mit sich bringen wird. Ich vergleiche sie immer mit der industriellen Revolution, die nicht nur den gesamten Arbeitsprozess, sondern auch das Bildungssystem und das Zusammenleben der Menschen völlig verändert hat.

Daher halte ich es für wichtig, dass wir gerade in Österreich auch über die Bundeslän­der­grenzen hinweg darüber nachdenken, wie Österreich ein Digitalisierungs­schwer­punkt in Europa sein kann. Ich habe einmal vollmundig angekündigt: Wien soll die Digi-Hauptstadt Europas werden. Da haben wir noch einen weiten Weg vor uns, aber wir haben gute Voraussetzungen

Das, was uns auch die Europäische Union als weitere Entwicklung vorschlägt, nämlich insbesondere den Ausbau von 5G, ist eine der gemeinsamen Herausforderungen, die auf Bundesebene, aber auch in den Ländern und den Gemeinden vorrangig behandelt werden sollte, um den Wirtschaftsstandort zu sichern und neue Arbeitsplätze zu schaffen, und zwar in allen Teilen unseres Landes. Nicht nur in den Zentralräumen, sondern auch in Regionen, die besonders von der Veränderung der Bevölkerung geprägt sind – quasi vom flachen Land Richtung Städte –, könnte die Digitalisierung zu einem sinnvollen Ausgleich führen.

Allein in Wien sind jetzt schon über 56 000 Menschen in 6 000 Unternehmungen im IT-Bereich tätig. Das heißt, das ist ein boomender Bereich, und ich weiß, dass das auch in anderen Bundesländern durchaus so der Fall ist.

Wir werden aber vor allem auch die Notwendigkeiten sehen, den Ausgleich zwischen Wirtschaftsstandort und sozialer Gerechtigkeit zu finden. Natürlich sehen wir die Vorteile, die sich ergeben, beispielsweise erlaubt die Digitalisierung im Gesundheits­bereich völlig neue Behandlungsmöglichkeiten.

Ich war erst vor Kurzem bei der „Langen Nacht der Forschung“. Da glaubt man, man ist in einem Science-Fiction-Film, wenn beispielsweise eine Chirurgin zeigt, dass sie die Fäden von afrikanischen Spinnen aus Tansania heranzieht, um Nerven miteinander zu verbinden. Ich habe gefragt: Wieso brauchen Sie da Spinnfäden? Gibt es da nicht irgend­etwas Technisches? – Sie sagte, nein, alles bei bisherigen Versuche ist vom menschlichen Körper abgestoßen worden und das ist weltweit die einzige Spinnenart, die offensichtlich vom menschlichen Körper nicht abgestoßen wird. Jetzt verbinden Sie einmal einen Spinnfaden mit menschlichen Nerven im Körper! Das können Sie, auch wenn Sie noch so wenig zittern, mit freier Hand nicht erreichen. Da hat die Digita­lisierung einen ungeheuren Sprung in der Chirurgie, in der medizinischen Arbeit be­wirkt, der noch vor wenigen Jahren unvorstellbar war.

Ich habe zum Beispiel auch einen junger Mann gesehen, der bei einem Motorradunfall seinen Arm verloren hat. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Dem wurde eine Prothese angebunden und mit den Nerven so verbunden, dass er die Finger bewegen konnte. Also das glaubt man nicht! Dann hat er gesagt, jetzt zeige ich Ihnen aber noch etwas. Er hat einen Ring auf meinen Arm gelegt, die Prothese an die Wand gehängt und mich aufgefordert, meine Finger zu bewegen. Ich habe meine Finger bewegt und die Finger der Prothese haben sich im Gleichklang bewegt, weil die Bewegung direkt übertragen wurde. Also, wie ich vorhin gesagt habe: Da glaubt man, man ist in einem Science-Fiction-Film!

Das sind großartige Vorteile, die wir durch die Digitalisierung erreichen werden. In Wien haben wir nun in einigen Pensionistenwohnhäusern beispielsweise eine Sturz­prävention umgesetzt. Damit ist sichergestellt: Wenn ältere Menschen in ihrer Woh­nung stürzen, wird dies durch die Smartverbindung direkt an den Portier übermittelt und es kommt sofort jemand nachschauen, was passiert ist.

Es gibt also viele Vorteile, aber es gibt fast nichts im Leben, das nur Vorteile hat. Das, was wir im Auge behalten müssen – und deshalb bin ich Herrn Bundesratspräsidenten Todt so dankbar dafür, dass er das zum Thema gemacht hat –, ist die Verbindung von wirtschaftlichem Erfolg auf der einen Seite und unserer gemeinsamen Verantwortung, dass es nicht zu weiteren Gräben in der Gesellschaft kommt, sondern dass es im Zuge der sozialen Gerechtigkeit zu einer Situation kommt, in der alle Menschen von dieser Entwicklung profitieren. Das wird natürlich eine gemeinsame, große Herausforderung darstellen.

Ganz zum Schluss möchte ich noch einen Punkt erwähnen, auch deshalb, weil ich neben den beiden Säulen der Zweiten Republik Föderalismus und Sozialpart­ner­schaft – noch eine dritte Säule erkenne: Das ist jene, dass wir nicht isoliert in der Welt agieren, sondern in einem gemeinsamen Europa, mit allen Schwächen, die es in der Europäischen Union gibt. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass wir in einer ein­maligen, jahrzehntelangen Friedensperioden leben dürfen. Da braucht man nur mit seinen Großeltern, wer noch welche hat, zu reden, die zwei Weltkriege erlebt haben, Wirtschaftskrisen, in denen alles verloren ging, und vieles andere mehr, dann schätzt man diese ganz besondere Situation wieder.

Mir ist bewusst, dass sich die Europäische Union, wie auch andere Institutionen, ent­wickeln muss, stärker auf die Bedürfnisse der Bevölkerung hinhören muss, nicht nur wirtschaftliche Interessen im Vordergrund sehen darf, sondern auch den sozialen Zusammenhalt und die Lösung von Problemen, die anstehen.

Wir sollten aus einem sehr unmittelbaren wirtschaftlichen Interesse aber nicht vom Prinzip abgehen, in einem gemeinsamen Europa zu agieren, denn wir wissen, dass in diesem Jahr Indien in der Wirtschaftskraft Großbritannien und Frankreich überholt und dass es in ganz Europa kein einziges Land mehr geben wird, das international im Wettbewerb mit China, mit Russland, mit den USA eine Rolle spielen kann. Betrachten wir die Weiterentwicklung in den Schwellenländern, dann wissen wir, dass wir in der Wirtschaftskraft nur dann im internationalen Wettbewerb bestehen können, wenn wir gemeinsam auftreten, wenn wir auch über die nationalen Grenzen hinweg in einem gemeinsamen Europa sehen, wo die wirkliche Auseinandersetzung liegt.

Das setzt natürlich auch voraus, dass wir zu einer Gemeinsamen Außen- und Sicher­heitspolitik kommen, dass wir uns auch gemeinsam die Frage stellen, wie wir die Energiepolitik in der Zukunft gestalten, woher wir unsere Primärstoffe beziehen, um wirt­schaftlich stark zu sein, wie wir beispielsweise mit dem Angebot Chinas und Russlands umgehen, eine direkte Bahnverbindung nach Europa, direkt an die Tore Wiens, zu bauen. (Zwischenruf bei der FPÖ.) Fürchten wir uns davor oder ist das für uns eine Chance für eine exportorientierte Wirtschaft?

Das sind Dinge, über die wir sehr genau, sehr kritisch nachdenken sollten. Wir sollten darüber nachdenken, welche Gefahren, aber auch welche Chancen in solchen Ent­wicklungen liegen. Man braucht nicht über internationale Solidarität und die Organi­sation in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum wie der Europäischen Union zu reden, wenn wir an Bundesländergrenzen scheitern. Daher war es mir immer, von Beginn meiner politischen Tätigkeit an, ein Anliegen, zu sagen: Wir müssen im Zuge des Fö­de­ralismus immer über die Bundesländergrenzen hinweg unsere Möglichkeiten einset­zen.

Ich versuche das ganz stark in der Ostregion in der Kooperation Wien, Nieder­österreich und Burgenland, aber natürlich immer mit Blick zu den anderen Bundes­ländern, mit denen wir ja auch gut kooperieren, um uns wechselseitig im Bereich der Fachhochschulen, der universitären Ausbildung zu unterstützen, da wir wissen, wir alle suchen dringend qualifizierte Arbeitskräfte. Was können wir tun, um beispielsweise der Wirtschaft die entsprechenden Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen?

Umgekehrt müssen wir aber auch den Beschäftigten die Möglichkeit bieten, so zu leben, wie sie sich das vorstellen. Sie müssen die Möglichkeit haben, in einer Familie zu leben und die Flexibilisierung der Arbeitszeit darf nicht dazu führen, dass sie nicht mehr in der Lage sind, in Vereinen tätig zu sein, diese zu erhalten, Familien zu unter­stützen und vieles andere mehr.

In diesem Rahmen wird sich unsere Tätigkeit in Zukunft bewegen. Deshalb möchte ich mich ganz herzlich bei Ihnen allen, bei den Mitgliedern des Bundesrates, bedanken. Der Bundesrat ist eine ganz wichtige Klammer des Bundesgesetzgebers zu den Bundesländern.

Ich kann nur aus eigener Erfahrung sagen, die Mitglieder des Bundesrates aus Wien melden sich immer sehr lautstark, und zwar parteiübergreifend. Das ist gut so, das ist wichtig. Ich zumindest höre immer sehr genau auf das, was uns die Bundesräte kom­munizieren und sagen. Im Umkehrschluss sage ich ihnen auch, was wir uns aus der Sicht der Landtage vorstellen. Es macht also Sinn, dass wir eine solche zweite Kam­mer haben.

Ich weise nicht nur heute, weil ich hier stehe, sondern auch bei anderen Gelegenheiten auf die Bedeutung des Bundesrates hin. Ich halte nichts davon, wenn in der öffent­lichen Diskussion der Bundesrat immer kleingeredet wird. Das können nur jene Men­schen behaupten, die sich nicht mit dem Zweikammernsystem beschäftigt haben, die sich nicht mit unserer Bundesverfassung und mit der politischen Praxis in unserem Land beschäftigt haben. (Bundesrätin Mühlwerth: Journalisten zum Beispiel!)

Ich bin ein großer Fan des Bundesrates, das sage ich, wie gesagt, nicht nur heute hier, sondern auch bei anderen Gelegenheiten. Ich danke Ihnen, den Mitgliedern, ganz herzlich, ganz besonders bedanken möchte ich mich aber auch bei Reinhard Todt, dem Präsidenten des Bundesrates, nicht nur deshalb, weil er aus Wien kommt, sondern weil er im letzten halben Jahr viele Akzente gesetzt hat, die er in seinem Bericht auch angesprochen hat, die für den Bundesrat wichtig waren, aber weit darüber hinaus auch in der gesamten politischen Diskussion in unserem Land eine Rolle gespielt und damit deutlich gemacht haben, dass der Bundesrat ein sehr starkes inhaltliches Zeichen gesetzt hat, das gehört wird.

Deshalb, hochgeschätzter Herr Präsident, lieber Reinhard, ein herzliches Dankeschön! (Allgemeiner Beifall.)

11.09

Präsident Reinhard Todt: Ich danke dem Herrn Landeshauptmann für seine Ausfüh­rungen.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Elisabeth GrimlingBitte.