14.55.16

Bundesrat Mag. Michael Lindner (SPÖ, Oberösterreich): Liebe Kolleginnen und Kol­legen! Das ist meine letzte Bundesratssitzung, verabschieden werde ich mich aber viel­leicht erst später, schauen wir einmal. Es ist eine spannende Diskussion, und da müsst ihr, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Blau, heute durch (Ruf bei der FPÖ: Da kann man noch zwei, drei Mal reden! – Bundesrätin Mühlwerth: Nein, das ist nicht mehr spannend! Das ist nur mehr fad!), es nützt alles nichts. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Sie haben uns hier einen Initiativantrag auf den Tisch geknallt, der keine einzige Ver­besserung, kein einziges zusätzliches Recht für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh­mer enthält, sondern nur Rechte für die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. (Bundesrat Bader: Das ist die Unwahrheit!) Sie haben das mittels Initiativantrag auf den Tisch geknallt, ohne Einbindung von Experten, ohne ausreichende sachliche, faire Begutach­tung.

Das ist Ihnen natürlich nicht passiert, sondern Sie machen das, weil Sie zu feig für die offene politische Debatte darüber sind. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.) Sie machen das, weil Sie sich den KritikerInnen und den Betroffenen nicht stellen wollen. 100 000 Menschen waren auf der Straße. Man darf dazusagen, dass auch viele ÖVP- und FPÖ-Funktionäre, die zum ersten Mal auf einer Demonstra­tion waren, mit dabei waren. 2 000 Betriebsversammlungen haben in ganz Österreich stattgefunden. (Bundesrat Spanring: ... von der SPÖ organisiert!) 200 Stellungnahmen aus allen Bereichen sind zu diesem Gesetz eingegangen.

All jenen schlagen Sie jetzt massiv ins Gesicht. Sie sagen ihnen einfach ins Gesicht: Eure Bedenken sind uns wurscht, ihr dürft dafür schon mit 1. September in den sauren Apfel beißen.

Sie stellen sich der Debatte auch nicht, weil Sie genau wissen, dass das, was Sie hier machen, wirklich verändernd ist. Ja, es wird unsere Gesellschaft in Österreich massiv verändern. Seien Sie zu sich selber ehrlich! Sie spüren doch selber, dass Sie damit ei­nige Schritte zu weit gehen. Das ist für mich ein Arbeitszeitüberfall, durchgepeitscht und auf September vorgezogen! (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Warum stimmen denn nur die Wirtschaftskammer und die Industriellenvereinigung in diesen ganzen Jubelchor ein? Ich meine, die lassen sich das noch dazu sehr viel Geld kosten: Inserate, riesige Werbeplakate, dümmliche Filme, die dann eh wieder offline gehen müssen. Klar, die jubeln jetzt, weil sie das kriegen, was sie vor einem Jahr mit Spenden bestellt haben.

Sie spüren ja selber – und das merkt man heute an Ihrer Nervosität und an Ihren Emo­tionen –, dass das Ganze gewaltig nach hinten losgeht. Hilfeschreiend muss das So­zialministerium ganzseitige Inserate schalten. Da sind Sie derzeit sehr hilflos. Ihr schlech­tes Gewissen kann man in meinen Augen heute hier herinnen schon richtig greifen. (Bei­fall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Diejenigen aus euren Parteien, die die Ohren und Augen noch offen haben, die sich noch mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unterhalten können, sagen auch intern ganz offen, dass sie da nicht mehr mitkönnen.

Franz Mariacher, der Obmann der FPÖ-Arbeitnehmer in Tirol, ist schon zitiert worden. (Bundesrat Steiner: Wer? – Ruf bei der FPÖ: Den Franz kannst haben!) Er sagt: „Das ist keine Arbeitnehmerpolitik mehr, dafür haben uns die Menschen nicht gewählt.“ – Er ist aus der FPÖ ausgetreten. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Franz Ebster, Fraktionschef der FPÖ-Arbeitnehmer in der AK Tirol, sagt – Zitat –: „Man kann nur noch den Kopf schütteln über so viel Gleichgültigkeit gegenüber den legitim erworbenen Rechten der Arbeitnehmer. Diese Regierung ist eine Enttäuschung!“ – Er ist aus der FPÖ ausgetreten. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Helmut Feilmair, schwarzer AK-Vizepräsident in Oberösterreich, sagt – Zitat –: „Diese Sa­che tut uns und dem Land nicht gut. [...] Wir haben diese Dinge jahrzehntelang im Dia­log der Sozialpartner gelöst.“ (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Erwin Zangerl (Bundesrat Brunner: Das haben wir schon von vier Kollegen gehört! – Zwischenruf des Bundesrates Stögmüller), schwarzer AK-Präsident in Tirol, sagt – Zi­tat –: „Offenbar dient dieser Initiativantrag [...] ausschließlich dazu, Arbeitgebern die ge­setzliche Grundlage zu bieten, um Arbeitnehmer über längere Zeiträume hinweg bis zu 12 Stunden täglich und 60 Stunden wöchentlich [...] beschäftigen zu können.“

Ich staune selber schon, mit welcher Heftigkeit sich eure eigenen Parteikollegen da zu Wort melden. Das zeigt mir, dass Sie da ordentlich etwas ins Rutschen bringen. (Neu­erlicher Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Das werden Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, von den Menschen noch zu spüren bekommen, weil sie diesen Eingriff in die persönliche Lebensgestaltung nicht akzep­tieren werden. Es ist heute schon angeklungen: 250 Millionen Überstunden wurden vergangenes Jahr geleistet, 45 Millionen davon unbezahlt.

Studien belegen, dass der Arbeitsdruck enorm zunimmt, dass die Burn-out-Raten stei­gen. Sagt uns und den Menschen: Wo wollt ihr da noch hin?! Und sagt den Menschen ehrlich ins Gesicht, was ihr damit wollt! – Ihr wollt den ungehinderten Zugriff auf die 11. und 12. Stunde. Ihr wollt die Ausweitung der Sonntagsarbeit. Ihr wollt mehr aus den Menschen herauspressen, als gesund ist. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesra-tes Stögmüller.)

Eure halbherzigen Argumente sind heute nicht mehr erträglich. (Bundesrätin Schulz: Sind Sie ein Arbeitgeber?) Zeigt mir einen konkreten Auftrag in einem Unternehmen in Österreich, der in den letzten Jahren nicht mit den jetzigen Arbeitszeitregelungen abge­arbeitet werden konnte! (Ruf bei der ÖVP: Ja, aber illegal! Kapierst du das nicht?) – Welcher? Kein einziger Auftrag ist heute genannt worden! (Beifall bei der SPÖ. – Zwi­schenrufe bei der ÖVP.)

Alleine in der Voest existieren mehrere Dutzend Arbeitszeitmodelle. (Abg. Bader: Aber die KMUs haben das nicht!) Es gibt Hunderte befristete Betriebsvereinbarungen, um Auftragsspitzen abzuarbeiten. Es geht euch schlicht und einfach um Folgendes: auf die Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen pfeifen, auf die Rechte der Betriebsräte pfeifen! Es geht euch um den größtmöglichen Druck auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh­mer. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Und eure Freiwilligkeit – seid mir nicht böse –, die ist nichts wert. Sie haben den Men­schen nämlich nicht gesagt, dass der Pseudofreiwilligkeit, mit der Sie da dauernd argu­mentieren, noch etwas ganz anderes entgegensteht, nämlich die Kündigungsmöglich­keit ohne Angabe von Gründen durch den Unternehmer. Eure Freiwilligkeit ist lächer­lich. Das nimmt euch niemand ab. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Folgendes würde mich schon interessieren: Wie lange darf denn jemand Nein sagen zur 11. und 12. Stunde? Wie oft? Sagen Sie uns das, Herr Kollege Bader! Einmal, zwei­mal, fünfmal? Wann ist der Punkt erreicht, an dem der Arbeitgeber sagt: Stopp, das ist Arbeitsverweigerung, du bist weg? (Bundesrätin Schulz: Sie wiederholen die Wieder­holung!) – Das ist die Realität. Das ist die Wahrheit. (Bundesrat Bader: Hast du eine Ahnung vom Arbeitsmarkt ...?) Die Menschen werden das nicht in Anspruch nehmen können – aus Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren! (Vizepräsident Brunner übernimmt den Vorsitz.)

Ich frage Sie, Herr Kollege Bader, da Sie schon so engagiert mit mir mitdiskutieren: Wer sitzt denn da am längeren Ast? Ist es der Arbeitnehmer, der vom Arbeitsplatzver­lust bedroht ist (Zwischenruf des Bundesrates Bader), da wir insgesamt 60 000 offene Stellen, aber 380 000 arbeitslose Menschen haben? Wer sitzt da am längeren Ast, Herr Kollege Bader? Sag mir das! (Beifall bei der SPÖ.)

Und da hilft euer Pseudokündigungsschutz im Gesetz nichts. Im Abänderungsantrag steht natürlich die Möglichkeit zur Kündigungsanfechtung drin, aber da ist nicht viel mehr Fleisch dran, als dass man einfach das bestehende Arbeitsverfassungsgesetz nachgemalt hat, denn die Kündigungsanfechtung bedeutet da: Man wird zuerst gekün­digt, und dann kann der Arbeitnehmer vor Gericht ziehen und muss dort beweisen, dass seine Kündigung mit der Verweigerung der 11. und 12. Stunde zu tun hatte. – Kün­digungsschutz ist etwas ganz anderes. (Beifall bei der SPÖ. – Ruf bei der ÖVP: Das ... die Unternehmer nicht!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen (Bundesrätin Schulz: Für die Unternehmer sind die Mitarbeiter das höchste Kapital!), wenn man da jetzt ein bissl die Luft herausnimmt – und das versuche ich jetzt auch –, dann erkennt man, dass es in Wahrheit nicht um ein Match hier herinnen geht. Es geht auch nicht darum, dass man von eurer Seite einmal der Gewerkschaft eins auswischt oder uns als SPÖ ordentlich hineintunkt. Ich meine, ich kann mir die Grinsegesichter im Machtzirkel rund um Sebastian Kurz schon vorstel­len. Ich kann es mir auch vorstellen, dass die alle mit Champagner und Aperol Spritz irgendwo in der Innenstadt anstoßen. (Widerspruch bei ÖVP und FPÖ.) Man muss aber unserem Bundeskanzler schon einmal eines deutlich sagen (Ruf bei der FPÖ: Sehr sachlich, Herr Kollege!): Da geht es jetzt nicht mehr um die Schülerunion oder um die Junge Volkspartei, sondern da geht es jetzt wirklich um mehr!

Längere Arbeitszeiten, liebe Kolleginnen und Kollegen (Zwischenruf bei der ÖVP), die werden unser Land verändern: Es bleibt weniger Zeit für die Familie. Es bleibt weniger Zeit für Ehrenamt (Bundesrat Krusche: Das haben wir heute schon hundertmal ge­hört!), für Vereine, für die Feuerwehren in unseren Regionen. Es bleibt weniger Zeit, um Mensch zu sein und gesund zu bleiben. (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn ich dann höre: Die Menschen wollen das doch, die wollen etwas leisten und sich etwas aufbauen!, dann sage ich: Ja, wir Jungen wollen uns etwas aufbauen – das stimmt –, und wir wollen auch ordentlich verdienen, aber wir wollen mit 40 Stunden Ar­beitszeit einen ordentlichen Lohn kriegen. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir wollen unsere Kinder aufwachsen sehen, wir wollen Zeit mit ihnen haben, und wir wollen nicht, dass nur mehr ein Teil der Familie arbeiten kann. Ich meine, es ist ja abenteuerlich und nicht mehr zu glauben (Bundesrätin Schulz: Es ist abenteuerlich, was Sie erzählen! Abenteuerlich!), dass Sie die Mittel für die Kinderbetreuung kürzen. In Oberösterreich werden Nachmittagsgruppen wegen der Nachmittagsgebühren ge­schlossen. Sie aber reden dann vom flexiblen Arbeiten. Fällt euch dieser Irrsinn irgend­wie auch noch selber auf? – Es ist unglaublich! (Beifall bei der SPÖ.)

Damit ich meine 10 Minuten einhalte, komme ich zum Schluss. Man kann das Ganze in Wahrheit nicht besser zusammenfassen als mit diesen zwei Stellungnahmen, die bei uns eingegangen sind und die ich Ihnen noch ans Herz legen will. Die eine ist von der Katholischen ArbeitnehmerInnen Bewegung Oberösterreich, die schreibt, Papst Fran­ziskus weist „auf die Gefahr hin, dass unsere Art des Wirtschaftens zu Ausbeutung und Ausgrenzung führt – mit der präsentierten Regelung passiert genau dieses: Im Inter­esse von Profit und Gewinn werden die Rechte der Schwächsten in unserer Gesell­schaft beschnitten.“ (Beifall bei der SPÖ sowie der BundesrätInnen Dziedzic und Stög­müller. – Bundesrat Schuster: Seit wann seid ihr so für die Kirche?)

Die zweite Stellungnahme ist jene der Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Dienstnehmer. Darin steht, dass dieses Gesetz den Prinzipien der Soziallehre der katholischen Kirche widersprechen wird und dass das Gewinnstreben und die Unternehmerziele über die Würde der Beschäftigten gestellt werden. – Amen. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bun­desrätInnen Dziedzic und Stögmüller.)

15.05

Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Andreas Spanring. Ich erteile es ihm.