15.41

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Hohes Präsidium! Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zu­seher zu Hause! Wir behandeln das Pädagogikpaket, und im Sinne dieses Päda­gogikpakets könnte ich mich jetzt als Pädagogin hier herstellen und sagen, ich gebe diesem Gesetz ein 4 minus, und mich dann wieder verabschieden. (Bundesrätin Mühlwerth – erheitert –: Das wäre eine Idee!) – Den Gefallen kann ich Ihnen leider nicht machen, Frau Kollegin; das war ein bisschen aufgelegt, das muss ich zugeben.

Was uns wahrscheinlich erwarten würde, wäre, dass meine Nachrednerinnen und Nachredner sich hier mit einer anderen Note verabschieden würden und eine andere Note geben würden. Das liegt in der Natur der Sache, weil natürlich jeder Mensch Dinge unterschiedlich beurteilt. Das machen selbstverständlich auch Pädagoginnen und Pädagogen, auch sie legen auf verschiedene Dinge unterschiedlichen Wert. Ich möchte niemandem unterstellen, dass er die Noten leichtfertig gibt, aber es liegt in der Natur der Sache und der Menschen, dass man Dinge unterschiedlich bewertet.

Auch mit so einem 4 minus, das ich zum Beispiel hier geben würde, könnten Sie alle nur mutmaßen, warum ich das machen würde. Sie würden wahrscheinlich verschie­dene negative Punkte ins Treffen führen, aber Sie würden wahrscheinlich auch nicht erfahren, dass ich zum Beispiel einen Punkt, nämlich die Möglichkeit, dass junge Menschen das zehnte Schuljahr in der Polytechnischen Schule nachholen können, als positiv beurteilen würde. Das würde an einem 4 minus so nicht erkennbar sein.

Auch wir im Bundesrat sind es gewohnt, dass wir nicht einfach nur Zustim­mung/Ab­lehnung sagen, sondern dass wir immerhin in 10 möglichen Redeminuten ausführen und argumentieren, warum wir etwas befürworten oder nicht. Das macht durchaus Sinn, denn nur so kann man sich in einer Debatte weiterentwickeln.

Worauf will ich hinaus? – Wir wissen, dass Leistung etwas sehr Komplexes ist. Leistung ist ein sehr vielschichtiger Vorgang, ganz unabhängig davon, was geleistet wird, ob es das Erlernen von Grundrechnungsarten oder das Erlernen einer feinmoto­rischen Fertigkeit ist, oder auch soziale Kompetenzen, all das ist sehr komplex. Unsere Welt insgesamt und damit auch die Wissensinhalte und die Lerninhalte sind sehr komplex geworden. Da muss man sich auch im Bildungssystem dementsprechend weiterentwickeln. Seien wir doch ehrlich, wenn wir uns weiterentwickeln wollen, etwas verbessern wollen und etwas vertiefen wollen, dann macht es doch nur Sinn, wenn man Feedback bekommt, was denn genau möglicherweise der Schwachpunkt oder möglicherweise die Stärke ist. Das tut schwächeren Schülern und guten Schülern in dem Bereich, um den es gerade geht, gut, und da hilft eine Ziffernnote relativ wenig.

Was mich an dem vorliegenden Pädagogikpaket stört, ist, dass diese verbale Be­urteilung zwar für viele Schülerinnen und Schüler dazugenommen wird, aber man sagt: Na ja, diesem Schritt nach vorne, dem trauen wir noch nicht so ganz, obwohl viele Studien beweisen, dass diese verbale Beurteilung funktioniert. Es muss schon wieder diese Ziffernnote dazu, und damit macht man zwei Schritte zurück. Das finde ich einfach sehr, sehr schade. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) Es wird sogar die demokratische Möglichkeit, das in der Klasse gemeinsam mit den Eltern im Schulforum zu entscheiden, abgeschafft. Das ist natürlich demokratiepolitisch auch sehr, sehr schade. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich möchte noch einmal auf die Leistung zurückkommen, denn als Pädagogin be­schäftigt man sich natürlich damit, wie denn ein Kind schlussendlich am besten lernt. Da muss man vorausschicken – all jene, die mit Kindern zu tun haben, wissen das –, jedes Kind ist anders, jedes Kind hat eine andere Begabung, jedes Kind hat eine andere Neigung, an anderen Dingen Interesse; man ist einmal schneller, einmal langsamer. All das schätzen wir an unseren eigenen Kindern, an den Enkelkindern, an den Kindern, die einem jeden Tag begegnen. Jedes Kind hat auch eine andere Familie im Hintergrund, die es unterschiedlich gut fördern kann, die ihm unterschiedliche Dinge mitgeben kann. All das ist gut so, aber all das ist auch ein Punkt, dass die Dinge eben nicht ganz einfach und in eine Schublade zu pressen sind, sondern es ist halt viel­schichtig und komplex.

Wie lernt ein Kind? – Der Hirnforscher Gerald Hüther sagt, dass eine Motivation be­stehen muss, um etwas zu lernen, und dass diese Motivation von innen kommen muss, weil nur so eine Lernerfahrung oder ein Wissenserwerb auch nachhaltig bestehen bleibt. Wir sagen doch immer so schön, wenn wir mit den Kindern reden: Wir lernen nicht für die Schule, sondern für das Leben. – Genau das ist der Punkt! Wir lernen nicht, um eine Note zu bekommen, und wir lernen nicht unter Druck und Stress, weil uns eine Note droht, sondern Kinder lernen dann am besten, wenn sie an etwas Interesse haben, wenn sie etwas wirklich erkunden wollen, begreifen wollen. Dann verfestigt sich das, dann gibt es einen emotionalen Bezug, und dann ist dieses Lernen nachhaltig und tatsächlich fürs Leben und nicht für die Note. Das ist auch das, was wir immer so gerne predigen.

Zu dieser Verwertbarkeit und zu diesem Wissenserwerb: Führt man sich vor Augen, was denn der Arbeitsmarkt in Zukunft brauchen wird – wir haben heute auch schon über Digitalisierung gesprochen –, so werden die Anforderungen komplexer, und wir brauchen Facharbeitskräfte, die mit dieser Komplexität zurechtkommen. Das heißt, wir brauchen keine Schülerinnen und Schüler, denen man Wissen eintrichtert, wie mit einem Trichter, und irgendwann ist das abrufbar, dann gibt es eine Note und dann kann man es wieder vergessen, sondern junge Menschen müssen lernen, um mit dieser digitalisierten Zukunft umgehen zu können, sich Wissen anzueignen und im Team zu verwerten und im Team zu bearbeiten. Sie müssen interdisziplinäre Frage­stellungen bearbeiten und dafür gute Lösungen finden, über Disziplinen hinaus arbeiten. Dazu braucht es Teamwork, dazu braucht es soziale Kompetenz und dazu braucht es die Möglichkeit, Wissen umzusetzen und nicht nur an einem Punkt abzu­rufen. Wissen abzurufen geht mit Wikipedia und anderen Dingen mittlerweile schon viel, viel leichter.

Das heißt, was ich nicht nachvollziehen kann, ist dieser eine Punkt, auf den ich hinauswill, diese erklärende Beurteilung. Warum kann man diese nicht gelten lassen? Sie ist der jetzigen Zeit entsprechend das angepasste Mittel, um mit dieser Komplexität umzugehen, und sie gibt den Kindern das Feedback, das sie brauchen, um sich gut weiterentwickeln zu können und auf ihrem Stand aufbauen zu können.

Ich habe das Gefühl, die Noten brauchen wir dann, wenn am Zeugnistag die Omas und Opas wissen wollen, ob es 5 Euro oder 10 Euro für das Zeugnis gibt. (Bundesrat Samt: Na geh!) Mit der differenzierten Beurteilung ist es halt ein bisschen schwieriger, das herauszufinden. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Ein zweiter Punkt, der für mich unverständlich ist, ist die Idee, dass man achtjährige Kinder wieder sitzenbleiben lassen will. Ich meine, achtjährige Kinder sind ungefähr so groß (mit der Hand die entsprechende Größe anzeigend) – ich habe einen Neun­jährigen zu Hause – und sind im Idealfall begeisterte Schüler. Warum? – Weil sie ihre Klasse gernhaben und dort im Idealfall Freunde und Freundinnen haben, weil sie ihre Lehrerin oder ihren Lehrer gernhaben und zu ihm oder ihr aufschauen und das wie ein Schwamm aufsaugen, was man da in der Schule alles erfahren und lernen kann, und weil sie mit Freude in die Schule gehen. Das ist die beste Voraussetzung, um zu lernen.

Und dann kann es sein, dass ein Kind in irgendeinem Bereich ein bisschen länger braucht als die anderen, da vielleicht ein Problem hat und dann – schwuppdiwupp – sitzen bleibt.

Was passiert mit diesem Kind? – Es erfährt mit acht Jahren, mit neun Jahren vielleicht, dass es in dieser Gemeinschaft, die es lieb gewonnen hat, nicht mehr gut genug ist. Ein Kind kann da nicht differenzieren, versteht also nicht, dass es das Rechnen war und nicht die Person an und für sich. Das heißt, die Motivation fürs Lernen wird an dieser Stelle sozusagen gedämpft, und das wird sich auch auswirken.

Natürlich, es wurde mit diesem Gesetz eine verpflichtende Förderung eingeführt; das finde ich auch gut, Förderung ist immer gut. Wir wissen, Sitzenbleiben hilft nur dann, wenn tatsächlich individuell gefördert wird. Dafür braucht es aber Ressourcen, so wie zum Beispiel in Wien, wo wir seit Jahren eine Gratisförderung für solche Kinder haben, die Förderung 2.0. Das ist jedoch nicht in allen Bundesländern der Fall, und da es anscheinend Länderressourcen sind, aus denen diese Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen, bezweifle ich, dass wirklich entsprechend Ressourcen für diese För­de­rung zur Verfügung stehen. Wenn ich dann auch noch höre, dass die Schulsozial­arbeitsstellen nicht verlängert werden, dann muss ich schon sagen, dass das alles eigentlich in die falsche Richtung geht.

Das, was wirklich wirken würde, wäre individuelle Förderung, um auf das einzelne Kind einzugehen, um es quasi weiterzubringen, dort, wo es eine gute Leistung erbringen kann. Das kostet natürlich Geld, das kostet Ressourcen, aber diesen mutigen Schritt müssten wir tun.

Das, worauf es insgesamt hinausläuft, ist einfach, dass die Regierung versucht, mit diesem Pädagogikpaket Kinder möglichst früh in Gut und Schlecht einzuteilen, damit man im Gymnasium möglichst unter sich bleibt und sich da nicht irgendwie mit anderen auseinandersetzen muss. Und das ist das, was uns, die Sozialdemokraten, von dieser Regierung unterscheidet: Für uns heißt es, jedes Kind soll alle Möglichkeiten haben, um sein Potenzial zu fördern, und es geht uns nicht darum, Kinder möglichst früh in Gut und Schlecht einzuteilen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ. – Ruf bei der ÖVP: Geh! – Bundesrätin Schulz schüttelt den Kopf.)

15.52

Vizepräsident Ewald Lindinger: Ich begrüße den Herrn Bundesminister für Inneres! Herzlich willkommen. (Beifall bei der FPÖ und bei BundesrätInnen der ÖVP. – Abg. Mühlwerth: Der Lieblingsminister von der SPÖ ist da!)

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Dr.in Andrea Eder-Gitschthaler. Ich erteile dieses.