16.23

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Mitglieder der Bundesregierung! Werte Frau Bundesministerin! Vielen Dank dafür, dass Sie uns auch noch einmal die zwar wenigen, aber doch posi­tiven Punkte, die im Gesetzentwurf vorhanden sind, vor Augen geführt haben, aber vor allen Dingen auch danke dafür, dass Sie noch einmal ganz genau darauf hingewiesen haben, wo Nachbesserungen wirklich noch ganz, ganz dringend angesagt sind. Vielen Dank dafür, das war, glaube ich, auch für diesen Teil der Mitglieder (in Richtung ÖVP) hier im Bundesrat sehr, sehr wichtig.

Ich darf Sie, bevor ich näher auf das Thema eingehe, zu einem kleinen Gedanken­experiment einladen, und bitte Sie, das auch wirklich einmal auszuprobieren: Ver­setzen Sie sich einmal in die Lage solcher unterschiedlichen, von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen! Stellen wir uns eine Frau Mitte 30 vor, sie ist verheiratet oder hat zumindest einen Partner. Sie hat vielleicht zwei Kinder, eines im Kindergarten-, eines im Volksschulalter. Sie hat einen Job im Einzelhandel, der sie wegen der teils sehr langen Arbeitstage sehr fordert. Es ist für sie unter Umständen sehr schwierig, ihre Arbeitszeiten so anzupassen, dass sie ihre Kinder jeden Tag vom Kindergarten oder von der Schule abholen kann. Ihr Mann oder ihr Partner hat erst vor Kurzem seinen Job verloren. Er ist extrem frustriert und lässt seinen Frust häufig an seiner Frau aus, wie man so schön sagt. Es rutscht ihm immer wieder die Hand aus, wenn ihm das Essen nicht schmeckt, wenn es zu Hause nicht sauber genug ist oder wenn die Frau ihren ehelichen Pflichten einmal nicht nachkommen will.

Oder eine Frau Anfang 20: Sie hat sich gerade erst von einem Mann getrennt, weil sie erkannt hat, dass er phasenweise doch recht aggressive Züge hat, aber er lässt sie – ganz im Gegenteil zu einer Trennung – nicht in Ruhe. Er stellt ihr nach, verfolgt sie auf vielen ihrer Wege, droht, ihr etwas anzutun, wenn sie nicht wieder zu ihm zurückkehrt.

Diese und ähnliche Fallbeispiele sind leider auch in Österreich, wie wir gehört haben, gegenwärtig. Die Frau Ministerin hat es angeführt: Alle 3 Minuten ist eine Frau eines dieser beiden Fallbeispiele, wie ich sie jetzt genannt habe. Man kann sich vermutlich nur ganz, ganz schwer vorstellen, was diese Frauen in Wahrheit durchmachen müs­sen, in welcher Angst sie leben müssen, bedroht zu werden, womöglich auch mit dem Tod bedroht zu werden, welche körperliche und auch seelische Gewalt sie aushalten müssen. Was das mit einem Selbstwertgefühl macht, ist, glaube ich, nicht zu disku­tieren, das ist gar keine Frage. Wir haben es heute auch schon von Kollegin Grossmann gehört: Nicht selten führt das summa summarum irgendwann sogar zum Suizid, und ich glaube, da gehört ganz, ganz dringend etwas getan. (Bundesrätin Mühlwerth: Ja, das sehen wir eh so!)

Fakt ist: Mehr als die Hälfte aller Gewalttaten gegen Frauen passiert im häuslichen, im familiären Umfeld. Nicht jede Frau aber – und das haben wir heute auch schon ge­hört – wagt eben diesen Schritt zu einer Anzeige. Wenn, dann kann die Polizei schließ­lich und endlich auch Wegweisungen oder Betretungsverbote verhängen, aber dazu kommt es vielfach gar nicht.

Im Jahr 2017 waren es noch 8 400 Wegweisungen der Polizei, im vergangenen Jahr waren es nur mehr 7 400, die Zahl ist also rückläufig. Aus meiner Sicht ist das aber alles andere als ein Grund zur Freude, weil diese Zahl nicht automatisch auch auf einen Rückgang der Gewalttaten rückschließen lässt, sondern nur die Fälle aufzeigt, bei denen die betroffenen Frauen diesen Schritt der Anzeige auch wirklich gewagt haben. Dazu kommt, dass das Opfer eben auch nicht automatisch einen Anspruch auf Wegweisung hat. Das heißt, wenn die Exekutive nur eine bloße Drohung vermutet, dann wird eben nicht weggewiesen. Insofern ist diese Zahl daher sehr wohl zu hinter­fragen.

Meine Kollegen Weber und Grossmann haben es bereits ausgeführt, ich muss es nicht noch einmal in aller Ausführlichkeit erwähnen, nichtsdestotrotz möchte ich aber schon sagen: Kollegin Eder-Gitschthaler hat die Experten ja so gelobt, daher verstehe ich es eigentlich noch viel weniger, dass die ÖVP da ihre Zustimmung gibt. Ich habe hier nur eine ganz, ganz kleine Auswahl an negativen und kritischen Stellungnahmen mitge­nommen, und alleine daraus schließend ist eigentlich eine Zustimmung nicht möglich.

Wenn wir uns anschauen, wer hier denn aller eine Stellungnahme abgegeben hat, dann sehen wir, dass das eben Expertinnen und Experten sind, die tagtäglich mit dieser Thematik befasst sind, die sich um die betroffenen Frauen kümmern und so weiter. Es sind Rechtsexperten, Kriminologen, es sind Vertreter der Frauenhäuser und -beratungsstellen, aber auch der Männerberatungsstellen, die sich dazu geäußert haben, PsychologInnen und viele, viele mehr. (Zwischenruf der Bundesrätin Ernst-Dziedzic.)

Ich darf hier beispielsweise aus der Stellungnahme des Instituts für Strafrecht und Kriminologie zitieren, wo es heißt: „Man hat das Gefühl, dass hier unter Zeitdruck die Vorschläge der Expert*innen nach politischen, teilweise sachlich nicht gerechtfertigten, sondern rein populistischen Vorgaben gestaltet wurden, ohne das Ergebnis noch einmal ausführlich mit den Expert*innen beider ,Task Forces’ zu diskutieren.“

Also zwischen diesen beiden, von der damaligen Staatssekretärin im Innenministerium eingesetzten Taskforces Strafrecht und Opferschutz hat es kaum bis gar keinen Austausch gegeben, und dieser wäre ganz besonders wichtig gewesen, denn es gibt bis dato keinen empirisch belegbaren Hinweis darauf, dass höhere Straffandrohungen auch wirklich die gewünschte Wirkung zeigen, nämlich überhaupt eine Abschreckung für derartige Taten sind.

Auch dazu habe ich einige Zitate vorbereitet. Hier heißt es beispielsweise von der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie: „Eine Erhöhung der Strafen halten wir im Sinne der Gewaltprävention jedoch nicht für zielführend. Es geht vorran­gig darum, auf Basis der vorhandenen Regelungen angemessene Strafen zu setzen, die Strafrahmen auszuschöpfen, die Opfer effektiv zu schützen und die hohe Zahl der Einstellungen zu verringern.“

Der Frauenring sagt: „[...] eine Erhöhung des Strafmaßes kann ein zusätzliches Hin­dernis für Betroffene darstellen, sich den Behörden anzuvertrauen [...].“

Beim Berufsverband Österreichischer PsychologInnen heißt es: „Die Verurteilungs­quoten lassen darauf schließen, dass eine Erhöhung der Strafdrohung oftmals wir­kungslos bleiben wird, da es in vielen Fällen gar nicht zu einer Verurteilung kommt. Ein wesentliches Problem, gerade bei Sexualdelikten, ist, dass der Großteil der strafbaren Handlungen gar nicht erst angezeigt wird“.

Höhere Strafen haben also nicht den gewünschten Effekt, wie die Experten uns zahl­reich bestätigen.

Ich glaube, wir können uns auch gar nicht vorstellen, unter welchem Druck die betrof­fenen Frauen stehen, weil es auch ein Abhängigkeitsverhältnis gibt, emotional ebenso wie möglicherweise finanziell, aus dem es nur schwer möglich ist, auszubrechen.

Weiter geht es dann beispielsweise auch im Bereich der Jugendgerichtsbarkeit. Da heißt es bei der Vereinigung der RichterInnen: „Eine Rückkehr in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts kann sowohl aus kriminologischer als aus gesellschaftspolitischer Sicht von niemandem gewünscht sein.“

Die Bannmeile war heute auch schon Thema. Darauf muss ich nicht mehr näher eingehen.

Zu kritisieren ist aus meiner Sicht außerdem, dass die unterschiedlichsten Materien, die in diesem Gesetzeskonvolut von immerhin 25 Gesetzen zusammengefasst sind, teilweise nichts miteinander zu tun haben. Wir haben den Gewaltschutz auf der einen Seite, wir haben auf der anderen Seite die Betriebskassen. Das ist alles ganz unterschiedlich zu bewerten und daher in einer gemeinsamen Gesetzesmaterie nur schwer abzustimmen. (Präsident Bader übernimmt den Vorsitz.)

Zusammengefasst: Im Gewaltschutzgesetz geht es um eine Materie, die äußerst sensibel zu behandeln ist. Es gibt durchaus einzelne Punkte, die positiv sind und die in die richtige Richtung gehen, vieles aber ist unausgegoren und wird ganz zu Recht stark kritisiert. Ich denke, es sollte unser gemeinsames Ziel sein, einen gesetzlichen Rah­men für Maßnahmen zu schaffen, die den Opferschutz wirklich stärken, die die betrof­fenen Frauen stärken und auch die Kinder, die unter Umständen mitbetroffen sind.

Ich darf noch die Männerberatung Wien zitieren, die uns auch recht gibt: „Opferrechte bleiben weiterhin Antragsrechte, und ihre Nichteinhaltung bleibt weitgehend sanktions­los.“ – Bis dato.

Das Netzwerk österreichischer Frauen- und Mädchenberatungsstellen hält fest: „Zu dem Modell der opferschutzorientierten Täterarbeit gehören neben der Beratung auch weiterführende, verhaltensändernde Maßnahmen, wie beispielsweise Anti-Gewalttrai­nings. Diese Maßnahmen fehlen im vorliegenden Gesetzesentwurf.“

Ich glaube, das alles zeigt uns, an welchen Stellen es noch ganz, ganz arg mangelt, und ich glaube, es muss in unser aller Interesse sein, dass die Frauen und die Kinder, die betroffen sind, an oberster Stelle stehen. Um sie gilt es sich zu kümmern.

Prävention ist das Schlagwort. Da muss man schon in der Schule ansetzen, im Unter­richt und im Training, dahin gehend, wie man aus aggressivem Verhalten etwas ande­res machen kann. Da braucht es auf alle Fälle viel, viel mehr Mittel für die Beratungs­stellen, für entsprechende Ausbildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen für Psycho­logInnen und Ärzte und vieles mehr. All das ist in diesem Gesetzentwurf nicht enthalten. Daher wird es auch von unserer Seite keine Zustimmung geben. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Ernst-Dziedzic.)

16.33

Präsident Karl Bader: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Gerd Krusche. Ich erteile ihm dieses.